Außergewöhnliches

Freitag, 27. März 2009

Turn me over, Selly

Selly

Nicht jeden Tag kommt es vor, dass man in den Weiten des Webs durch eine Türe fällt, hinter der ein besonderes Kleinod auf einen wartet. Ich weiß nicht mehr, nach was ich gerade gegoogelt hatte, aber irgendwie kam ich hierher, sah auf das erste Bild des Films und hatte das unstillbare Verlangen, ihn anzusehen.

Die Dinge entwickeln sich langsam. Ein tropfender Wasserhahn. Zettel mit Erinnerungen, Notizen an dich selbst. Eine unzählbare Menge von Streichhölzern in einem Spülbecken. Anweisungen an den nächsten Morgen. "Would you like to see me doing it?", fragt Selly's Frau und lächelt beim Tanzen wie ein junges Mädchen. Der Mensch ist so wunderbar traurig anpassungsfähig. Auch an die täglichen Massaker des Älterwerdens. Durch das Erfinden von Gegenstrategien als Antwort auf das fortgesetzte erzwungene Loslassen von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Im Erkennen des Verzichts und Verlusts schafft er sich neue Wege des Überlebens und Bestehens. Ich glaube, das ist die positive Nachricht dieses bewegenden 10-min-Films.

Die andere Nachricht ist die des drohenden Scheiterns. Dass eine Welt, die man sich in gutem Glauben eingerichtet hat, von einer Sekunde zur Nächsten gefährlich schnell scheitern kann. Dass äußere, banale Einflüsse das wackelige, fragile Gerüst eines eigenen vorsichtigen Lebensentwurfs mit einem Wimpernschlag an die Schwelle des Scheiterns bringen können. Wo und wie werden wir enden? Du. Und ich. Verloren, mit einem leeren Sack Haferbrei auf einer viel befahrenen Stadtstraße - und keiner nimmt Notiz?

Eine Metapher. Nichts mehr. Und doch, wer, der diesen Film heute sieht, kann ausschließen, dass er in den Spiegel der Zukunft gesehen hat?

Neon!


Selly from wartezenstein on Vimeo.

Samstag, 29. November 2008

Zuckersüße Unschuld vom Land

Zuckersüße Unschuld vom Land

"Ich heiße Beta", ruft Sie mir hinterher. "Beta Vulgaris", ergänzt Sie und zwinkert auffordernd. Viele würden wohl sofort meinen, sie sei etwas zu gut proportioniert obenrum, aber ich fand, ihr stand das ganz OK. Und wie sie so daliegt und mich vulgär-direkt anschaut, fackel ich gar nicht lange, und sage: "Dann komm mal mit, Zuckerpüppchen. Obwohl wir uns noch kein bißchen kennen, werden wir schon Spaß miteinander bekommen!".

Sie ist ein ganz schön schmutziges Ding, die Kleine, kommt offensichtlich vom Land, und ich muss sie erst mal duschen und trockenreiben, bevor sie soweit ist, dass ich sie mit Anderem, ihr noch völlig Unbekanntem vertraut machen kann. Auf den ersten Blick sieht man ihr nicht an, dass sie ihre besten Tage hinter sich hat, aber trotzdem hat sie für mich etwas Neues, Unerschlossenes, Unschuldiges, das mein Interesse regt. Ja, sie hat meine Neugierde geweckt.

Während sie es sich lasziv auf dem Tresen bequem macht, denke ich darüber nach, wie ich sie so heiß machen kann, dass sie mir wirklich völlig verfällt, wie weiches Mus in meinen Händen wird, freiwillig alles gibt und ihren letzten Tropfen süßer Lust aus sich herauspresst.

"Na dann helf' ich Dir am besten erst mal, Dich aus Deinem braunen Kleidchen zu schälen", flüstere ich ihr zu, vielleicht etwas zu direkt, aber sie scheint diese Sprache durchaus gewöhnt zu sein und entgegnet zuerst nichts. "Du bist zuckersüß", haucht Sie plötzlich, während meine erfahrenen Finger über ihre Haut gleiten und ich antworte höflich "Du aber auch!", während ihre eng anliegende Hülle nach und nach zu Boden fällt.

"Irgendwie schmeckst du noch ein wenig lehmig", sage ich, nachdem ich meine Lippen zur Erkundung über ihren Rücken geschickt habe. "Ich glaube, ich bin noch nicht heiß genug", flüstert sie etwas vorwurfsvoll und spornt mich zu Höchstleistungen an. Ich bearbeite sie ausgiebigst und mache ihr weiter Feuer unter'm Hintern. "Ich schmelze in Deinen Händen", haucht Sie, ganz Unschuld vom Lande, aber bereits sehr feucht und wachsweich.

Langsam und erwartungsvoll tauche ich meine Finger in sie. "Du schmeckst süß wie Sirup", rufe ich ihr zu, aber sie ist längst woanders und hört mich kaum noch. "Ich werde nun etwas Druck ausüben", sage ich. Das gibt ihr wohl den Rest, weil es nun beginnt, nur so aus ihr herauszulaufen. Das war wohl genau das, was sie brauchte, um nichts mehr zurückzubehalten und wirklich alles gehen zu lassen.

"Wow", keuche ich, "für's erste Mal schon gar nicht schlecht". "Ich fühle mich wie ausgepresst", sagt sie erschöpft, "ich hab' auch wirklich alles gegeben". "Ich freu mich auf's nächste Mal, du Süße", sage ich cool, aber sie ist zu fertig, um noch antworten zu können.

Neon!

Donnerstag, 11. September 2008

The Falling Man

The Falling Man

Der 11.September ist stets ein besonderer Tag für mich. Viele, die ich kannte, und deren Gesicht ich immer noch zurückrufen kann, sind tot: Der lächelnde, schlurfende, ergraute, schwarze Fahrstuhlwächter, die jungen Barkeeper vom Windows on the World, die immer gut gelaunte Frau, bei der ich morgens meist einen Cranberry-Muffin und Orange Juice kaufte.

Von 12 Monaten in New York arbeitete ich 6 Monate im Nordturm des World Trade Centers. Nur wenige Monate, bevor die Türme fielen, kam ich nach Deutschland zurück. Geschenkte Lebenszeit für ein pünktliches Projektende. An jedem 11.September schwirren mir besonders die Bilder der "Jumper" durch mein Hirn, Menschen, die so verzweifelt und ausweglos waren, dass sie eine letzte mutige Entscheidung in ihrem todgeweihten Leben trafen. Über 200 sprangen aus den obersten Etagen der Türme. Wäre ich auch gesprungen? Ich weiß es nicht - und werde es hoffentlich nie herausfinden müssen.

***

Anzahl der insgesamt getöteten oder vermissten Menschen: 2803

davon Menschen aus dem Nordturm: 1402

aus dem Südturm: 614

Geschätzte Anzahl der Menschen, die vom Nordturm in den Tod sprangen: 200

Geschätzte Anzahl der Menschen, die vom Südturm in den Tod sprangen: 12

Geschätzte Anzahl der Menschen, die in Aufzügen abstürzten oder verbrannten: 200

Anzahl der getöteten Feuerwehrleute, die zur Rettung anderer Menschen in beide Türme aufgestiegen waren: 343

Anzahl der Überlebenden der höchsten Etagen des Südturms: 16

Anzahl der Überlebenden der höchsten Etagen des Nordturms: 0

Geschätzte Anzahl von Litern Kerosin, die beim Aufschlag der Flugzeuge explodierten: 90.000

Geschätzte Anzahl von Grad Hitze der Explosion: 2.000

Anzahl der gefundenen Körperteile: 19.000

Anzahl der gefundenen, vollständigen Körper: 291

Vergangene Zeit vom Einschlag des Flugzeugs bis zum Einsturz des Nordturms: 102 min

Vergangene Zeit vom Einschlag des Flugzeugs bis zum Einsturz des Südturms: 56 min

Anzahl meiner Kollegen, die in beiden Türmen ums Leben kamen: 12

I will never forget.
Neon!

Dienstag, 9. September 2008

Unwissenheit ist eine Gnade

2.Tag
Du sitzt, noch ganz schwach, seitlich auf deinem Krankenhausbett im Dreierzimmer, als ich durch die Tür in das diffus beleuchtete Zimmer trete. Mehr als 4 Stunden hat diese zweite Krebs-OP gedauert. Still sitzen wir uns gegenüber und ich höre mich sagen: "Hey, dein schwarzer Slip wirkt ganz schön sexy zu den weißen Venenstrümpfen - die solltest du mal auf einer deiner Gartenpartys tragen". Müde huscht ein abwesendes Lächeln über dein Gesicht. Wie gerne würde ich dir die Schmerzen im Bauch abnehmen.

7.Tag
Das Fieber kommt und geht. Dein Bauch ist angeschwollen. Die Ärzte wissen nicht, was es ist. Du übergibst dich quer durchs Zimmer und schaffst es schwer atmend zum Waschbecken, wo es nicht aufhören will. Die Schwester schreit: "So geht das aber nicht, das verstopft ja alles". Ich überlege einen Moment zu lange, ob ich sie gleich erwürge oder ihr erst einen vollen Infusionsbeutel in ihren Hals stopfe - da ist sie auch schon aus dem Zimmer geflüchtet.

9.Tag
Man hat dich verlegt in einen anderen Raum, in dem du nun alleine liegst. Gerade will ich die Klinke niederdrücken, als mich eine neue Schwester lautstark zusammenfaltet, ob ich das Schild nicht lesen könne. Der MRSA Keim in deinem Blut erfordert es ab jetzt, das ich Einmalhandschuhe, Schutzkittel und Mundschutz trage, wenn ich dich sehen will. "Sowas passiert, wenn man im Krankenhaus ist", sagt der müde aussehende Stationsarzt.

12.Tag
Sie haben die Krankenakte nicht richtig gelesen und dir trotz Allergie eine Penicillin-Lösung verabreicht. Innerhalb von 10 Sekunden reagiert dein mit Infusionsleitungen verdrahteter Körper schockartig, du stehst auf und zitterst am ganzen Körper, bis dir die Beine wegbrechen.

3.Woche
Dein Bauch schwillt nicht ab. Dafür werden deine Beine und Füße dicker. Immer mehr Wasser sammelt sich in deinem Körper. Ich habe heute gelernt, was Albumin ist, warum es hilfreich ist in Bezug auf kolloidosmotischen Druck, und was es bedeutet, wenn die Leber beschlossen hat, sich selbst destruktiv umzubauen während die Niere schon einen Stent hat.

4.Woche
Die Wirksamkeit des Penicillin-Ersatzes ist bescheiden. Sie pumpen dich voll mit wasserausscheidenden Tabletten, die Leber und Niere noch weiter belasten. Je tiefer ich in die Welt der Medizin eintauche, um ein wenig zu verstehen, was passiert, desto mehr wundere ich mich, dass sogar mein Körper bislang so problemlos funktioniert hat. Es gibt so unendlich viele Dinge, die plötzlich schief gehen können, dass es einen graust. Unwissenheit kann eine verdammte Gnade sein. Jeder einzelne Tag des fehlerfreien Funktionierens dieses hochkomplexen Mechanismus, den wir Körper nennen, ist in Wahrheit ein unfassbares, nicht nachvollziehbares Wunder.

5.Woche
Du solltest schon längst mit der palliativen Chemotherapie begonnen haben, aber die Ascites und die schlechten Blut-, Leber- und Nierenwerte lassen das nicht zu. Die Leukozytenwerte und damit dein Immunsystem sind auf all-time-low - jede simple und für Normalmenschen ungefährliche Infektion ist ein immenses Risiko. Ich hasse das schrille Piepen des Heparin-Perfusors, wenn die automatische Spritze der Umwelt ihren Leerstand mitteilt.

6.Woche
Das Wasser in deinem Körper ist weniger geworden und du hast begonnen, jetzt täglich 10 Tabletten Xeloda zu nehmen. Du hast anfangs fürchterlichen Durchfall, aber entgegen der Vorwarnung löst sich die Haut deiner Handinnenflächen nicht ab - das ist gut. Es gibt Situationen im Leben, da feiert man Erfolge etwas kleiner.

7.Woche
Du hast dem Arzt gesagt, dass du nach Hause möchtest - und sie lassen dich endlich gehen. Zuhause gibst du mir deinen Entlassungbericht. Dort steht ganz nebenbei, dass die "Resektionsränder der Arteria iliaca an der Aortenbifurkation leider nicht ganz tumorfrei" seien. Du sagst: "Kannst du mal im Internet nachsehen, was das heißt?". "Ja, das mache ich", sage ich und wische mir alleine im Auto die Tränen von der Wange. Zu tief habe ich schon gegraben, als das ich nicht schon weiß, was das bedeutet. Unwissenheit kann eine große Gnade sein. Und für einen kurzen Moment wünsche ich mir, dass mich jemand von der Verantwortung dieses Wissens entbinden möge.

Neon!

Sonntag, 6. Juli 2008

Junge Lippenbekenntnisse

Lippenbekenntnisse

Vielleicht blitzt diese Erinnerung durch mein Gehirn, weil es heute so heiß war. Es ist schon einige Zeit her, als ein Freund diese Ausbildung bei einem bekannten Düsseldorfer Textil-Familienunternehmen begann. Oft beklagte er damals, es sei eine harte Ausbildung. Er sagte "Wenn du eine Filiale leiten willst, musst du alles im Haus kennen.". Und dass sie einen in alle Abteilungen schickten. Und manchmal auch tiefer unter das Haus, als feine, subtile Strafe, wenn du etwas nicht gut gemacht hast. Tief hinunter in eine andere Welt, dort, wo es nicht mehr sauber und adrett herging und die Verkäuferinnen keine schwarzen, knielangen Röcke mit weißen, gestärkten Blusen mehr trugen. Dorthin, wo du ganz alleine warst, mit der Schaufel, und dem Dreck.

Er rief mich an und fragte, ob ich ihn besuchen wolle. Eine unterdrückte Aufregung flatterte in seiner Stimme, so, als wolle er mich in ein großes Geheimnis einweihen. Ich war 17 und das Vibrato in seiner Stimme macht mich neugierig. Er schien irgendetwas entdeckt zu haben in dieser anderen Welt, das sehr aufregend sein musste.

Er redete kaum, als ich ankam. Wortlos nahm er mich beiseite, führte mich in die Unterwelt, ein paar Treppen hinunter, durch einige Türen hindurch, bis wir schließlich unter dem Eingang der Filiale standen. Wenn man nach oben blickte, sah man Tageslicht und ein riesiges Trittrost über das Unmengen von Käuferbeinen in die Filiale hasteten. Eigentlich hatte er den Auftrag, den angesammelten Dreck unter dem Rost zu entfernen. Unmengen von Zigarettenkippen, Kaugummiresten und Papierchen warteten dort darauf, mit einer Schaufel entsorgt zu werden. Es war heiß hier unten. Kein Ort, wo man sich länger aufhalten mochte.

"Nun schau doch!", flüsterte er, während er nach oben sah, die Zigarettenkippen und seinen eigentlichen Strafauftrag ignorierend. Also blickte ich länger nach oben und erkannte plötzlich, was er meinte. 1, 4, 7, 11, Dutzende von Frauen gingen über das Rost - und sie hatten keinen Slip an. Mein erstaunter Blick traf seine Augen, und er nickte mir bestätigend zu. Niemand wagte, auch nur ein Wort zu sagen. In ungläubiger, stiller Begeisterung führte ich im Kopf eine Strichliste über die wievielte Frau, die im Rock und ohne Höschen in die Textilfiliale eilte, um eines der vielen Sonderangebote zu ergattern.

"Kannst du mir einen Job besorgen in den Sommerferien?", flüstere ich, den Blick nicht eine Sekunde abwendend vom heiligen Gitterrost mit den göttlichen Einblicken. "Ich versuch's", haucht er zurück, während die Lippen von Frau Nummer #41 über den Rost schweben.

Leider hat es nie geklappt mit einem Ferienjob unter dem Filialeintrittsrost. Aber ich habe das nie bedauert, denn ich kenne nun das Geheimnis - ja, ich habe die Wahrheit gesehen. Und weiß seitdem, was Frauen bei höheren Temperaturen als erstes weglassen.

Neon!

Montag, 30. Juni 2008

Von falschen Fahnen und wichtigen Greencards

Wenn dein Auge auf das Bild sieht, ist es versucht, an Fußball zu denken. Oft neigt der Verstand zur einfachen, nahe liegenden Erklärung. Aber das wäre sehr falsch. Diese Fahne weht aus anderen Gründen.

Heute Nachmittag besuchte ich meinen Vater in seinem Schrebergarten. Als kleiner Junge war er für mich der stärkste Vater von allen. Sein Leben lang arbeitete er hart und schwer, und wenn es überhaupt jemanden gibt, der alles gut und richtig gemacht hat in seinem Leben, dann ist er das.

Als vor ein paar Jahren die schweren Operationen begannen, bewunderte ich ihn noch mehr für seine Stärke, die unausweichlichen Leiden zu ertragen, seinen Willen, das Leben auf keinen Fall herzugeben, seinen Optimismus, das alles wieder gut würde. Monate über Monate lag er auf Intensivstationen - und ich versorgte ihn mit Internet-Dossiers über seine Krankheiten bis er mehr wußte als seine Ärzte. Irgendwann, endlich, schien die böse Serie abzureissen.

Wie oft kann man mit dem Tod Poker spielen und gewinnen? Wieviele Lethalprognosen kann man in einer Strecke überleben? Warum bekommt ein Mann, der schon weit mehr aushalten musste, als die meisten anderen Menschen in ihrem ganzen Leben ertragen müssen, nicht eine höchstgöttliche Gesundheitsgreencard? Irgendeine beschissene Wolke, die sich auftut und eine möglichst allmächtige Stimme, die sagt: "Du hast jetzt genug gelitten. Du bist raus aus meinem Schmerzspiel". Aber diese Stimme ertönt niemals. Und das Leben ist nicht gerecht.

Heute, im Garten, traf ich zum ersten Mal einen ängstlichen Mann. Er hat diese Woche erfahren, dass er Lympfknotenkrebs hat. Und er fragt sich, wieviele Spiele er noch gewinnen kann. Und dann sagt er: "Wir müssen nochmal reden, bevor ich wieder ins Krankenhaus gehe". Und sein Blick verliert sich. Das macht mir Angst.

Nach einer Weile sage ich in die Stille: "Lass uns zusammen die spanische Flagge hissen, einfach, um deine Gartennachbarn zu ärgern, bevor das Finalspiel beginnt". Und er lacht mich an. Spitzbübisch. Und für einen Moment bleibt die Zeit stehen. Genug Sekunden für ein Foto von einer spanischen Flagge, die mutig im Wind weht.

Neon!

Montag, 2. Juni 2008

Neon süß-sauer

Epochales Huhn süß-sauer

Angeregt durch Frau Caliente's kürzliche Wok-Erwähnung und in Erinnerung des schon Jahre laufenden Selbstversuchs, endlich Hühnchen süß-sauer im eigenen Wok geschmacklich so hinzukriegen wie man es auch in einem guten chinesischen Restaurant erwarten dürfte, habe ich am Wochenende unter Aufbietung enormer künstlerisch-kreativer Kräfte, feinster Zutaten, handwerklicher Spitzenleistungen sowie eines mittleren Küchentsunamis einen weiteren, diesmal äußerst erfolgreichen Wokversuch unternommen und für die Nachwelt dokumentiert.

Ungeachtet der Tatsache, dass Männer sich heutzutage nicht scheuen sollten, auch öffentlich selbst Hand anzulegen den Holzlöffel in den Wok zu halten, trägt dieses phänomenal mundende Ergebnis unzweifelhaft zu einer weiteren deutlichen Steigerung des männlichen Marktwertes bei, zumal des brillianten Kochens mächtige Männer angesichts der gleichzeitig stark erodierenden Kenntnisstände in der Gruppe fertiggerichtzufriedener Frauen auf ebensolche extrem starke Anziehungskräfte bis hin zu kulinarischer Hörigkeit auslösen.

Dies wissend und nichts Geringeres erwartend, habe ich die einzelnen Prozessschritte zur Anfertigung des bis dato unerreichten, Geschmacksexplosionen induzierenden Jahrhundertgerichts niedergeschrieben und reich bebildert, so dass auch Grobmotoriker der in BoFrost und Eismann lebenden Parallelwelten in die Lage versetzt werden, durch schrittweises Nachkochen in diesen außergewöhnlichen, Dopamin-Sonderausschüttungen generierenden Genuß zu kommen.

Das einmalige, epochale Kunstwerk kann hier als gezipptes PDF herunter geladen werden.

Neon!

Mittwoch, 28. Mai 2008

Baba Yaga und die Lawn Dogs

Lawn Dogs

Lawn Dogs, so nennt man die armen Hunde, die ihr Geld damit verdienen, die ausgedehnten Rasenflächen in den künstlichen amerikanischen Vorstädten zu mähen. Lawn Dogs (dt. Filmtitel "Heimliche Freunde") heißt auch dieses wunderbare Stück Film über 2 Außenseiter, die aus verschiedenen Welten kommen und sich doch so vertraut werden.

Lawn Dogs

Die 10-jährige Mischa Barton spielt Devon, die jede Chance nutzt, vor ihren angepassten, gesellschaftlich ambitionierten Eltern zu flüchten um sich in ihre schaurig-schönen, erfundenen Geschichten von Baba Yaga, der bösartigen und mordenden Waldhexe, zu flüchten.

Wenn sie nicht gerade ihrer Puppe Beine und Arme ausreißt, weil diese beim Brettspiel Dame verloren hat, oder fette Fliegen in Cookies drückt, die sie dann an die Nachbarn verkauft, pinkelt sie in stiller Sabotage über die Vorderscheibe des väterlichen Pickups oder steckt einem kleinen Quälgeist mit Plastikcolt den eigenen Lauf in den Mund.

Lawn Dogs

Trent, gespielt von Sam Rockwell, ist der Lawn Dog, er mäht den Rasen innerhalb der öden Mauern der staubfreien Neubauwelt "Camelot Gardens", einer spießbürgerlichen, stickigen Vorstadtsiedlung mit einem stereotypen Mikrokosmos aus Intoleranz, infamen Verdächtigungen, Heuchelei und Vorurteilen. White trash der besonderen Art.

Lawn Dogs

Als Devon auf den außerhalb der Mauern in einem herunter gekommenen Wohnwagen lebenden Trent trifft, wehrt der sich erst gegen die Freundschaft mit dem Mädchen aus dieser Oberschicht, die ihn so verachtet. Doch beide merken schnell, dass sie gleiche Außenseiter sind, jeder auf seiner Seite der Gesellschaft, und nicht nur wegen der gemeinsamen großen Narben am Körper oder dem Spaß am Wettrülpsen nach dem Verzehr des geklauten und sofort gekillten gegrillten Truthahns.

"People say you're trash", sagt Devon zu Trent, "Trash is something you put a lid on cause it stinks. You don't smell that bad". Und Trent erklärt später: "The way I see it is: You got people who own lawns and you got people who mow them. And they're never the same people!".

Lawn Dogs

Eine ordentliche Portion Sozialkritik mischt sich in diese seltsame, wunderbare Mixtur aus Fantasy, Vorstadt-Milieustudie und romantischem Märchen. Und am Ende retten Trent ein Revolver und Baba Yaga's Zauberkamm vor dem Blutrausch hyperventilierender Spießbürger, während Devon alleine in dem Baum mit den Hundert roten Schleifen sitzt und uns mit Gedanken an unsere eigenen Vorurteile zurücklässt.

Lawn Dogs ist ein märchenhaftes Film-Kleinod und klarer Kandidat für die ewige Neon-Hall-of-Fame-DivX-Sammlung. Und ein wenig bin ich jetzt auch in Mischa Barton (übrigens auch das tote Mädchen im Film Sixth Sense) verknallt. Muss mal recherchieren, wie alt Mrs. Barton heute ist...

Neon!

Mischa Barton in Sixth Sense

Mittwoch, 30. April 2008

Killerrabenanschlag

Inline Skates

Samstagmittag. Ich strecke vorsichtig die Nase aus dem Fenster. Die Sonne scheint zärtlich warm in mein Gesicht, sie flüstert mir zu "Komm, komm zu mir heraus, lass uns ein wenig spielen und herumtollen, komm mit mir und ich schenke dir unglaubliche Frühlingsgerüche, ja die, die du so lange vermisst hast". So haucht sie mir zu und umweht sanft meinen Nacken.

Ich stürze zur Treppe, haste die Stufen hinunter, durchwühle den Keller nach dem, was mich noch länger und vor allem schneller macht. Und schon schieße ich durch die Felder am Rhein, alles riecht so neu. Geschäftig surrt und scharrt es auf jedem Meter. Von weitem sehe ich die flimmernden Umrisse des Fernsehturms auf der anderen Flußseite. Dann wird es auf einmal dunkel. Eine Wolke von Raben kreist lautkrächzend über meinem Kopf. Ich stoppe die Inliner.

Inline Skates

Die Raben machen Geräusche wie "Kraaah", "Quorrr" und "Kroaak" und verfolgen aufmerksam jede meiner Bewegungen. Ich vermute gleich, dass Frau Araxe sie geschickt hat, um mich für all meine frechen Kommentare zu bestrafen. Ein paar von ihnen landen in 20m Entfernung, mitten auf dem Weg, vor mir und hinter mir. Die auf dem Weg machen auch "Kraaah" und "Krok" und sowas wie "Jetzt haben wir dich, du schräger Blogvogel". Ich überlege, wie ich der tödlichen Gefahr am besten entkomme.

"Gib uns Schokolade oder du bist fällig", rufen die Raben herüber, natürlich nicht ohne ein nachdrückliches "Kraaah" oder "Quorrr" nachzuschieben. Jetzt ist klar, dass die Killerraben von Frau Araxe kommen: Vögel lernen durch Nachahmung. Entschlossen greife ich in meiner Tasche eine Handvoll Hunde-Leckerli, gehe in die Hocke und kläre meinen Hund über die Strategie auf: "Es wird verdammt hart werden, aber wir müssen da jetzt durch. Bleib eng bei mir und schau nicht zurück. Zusammen werden wir es schaffen, vielleicht schwer verletzt, aber wir werden überleben, irgendwie". Der Hund schaut entgeistert. Damit hatte er an einem Samstagnachmittag wohl nicht gerechnet.

Mit einem großen Schwung schleudere ich die Hunde-Leckerli ins nahe Feld, werfe meinem Hund einen "Los jetzt! Und viel Glück!"-Blick zu und starte durch. Die meisten der blut- und schokoladegierigen Raben stürzen sich ins Feld, da wo sie ihre Beute vermuten. Mit gefühlten 60km/h durchbrechen wir den Rest der Rabenblockade - Federn fliegen durch die Luft. Nach 200m halten wir an. Nichts mehr zu hören von den schwarzen Killerteufeln. Bestimmt sitzen sie im Feld und krächzen "Kraaah" und "Quorrr" und sowas wie "Mistbetrüger, das ist ja gar keine Schokolade".

"Gut gemacht! Sieg auf der ganzen Linie!", sage ich dem Hund und klopfe ihm anerkennend auf die Schulter. Er schaut immer noch entgeistert. Klar, wenn man so knapp dem sicheren Tod entronnen ist.

Neon!

Sonntag, 20. April 2008

Notfallheimzahnarztsonde

Sonde

Manchmal bekommt man Möglichkeiten im Leben gezeigt, die man lieber nicht kennengelernt hätte. So zum Beispiel die Möglichkeit, sich am Wochenende mit einer geliehenen Sonde im Notfall den eigenen provisorisch gefüllten Zahn zu öffnen, um so den klopfenden Druck zu entlasten. Aber der Reihe nach...

Donnerstag. Das Pochen des am Dienstag frisch wurzelverfüllten Eckzahnes hat nicht abgenommen. In Anbetracht des nahenden Wochenendes besuche ich meine Zahnärztin und berichte ihr davon. "Da haben wir wohl zu früh gefüllt", sagt sie, als wenn ich dabei auch nur irgendeine Form der Mitbestimmung gehabt hätte. Dabei sind Zahnärzte doch absolutistische Autokratien in Reinform - und wahrscheinlich ist das auch gut so. Dies wissend macht sie sich also daran, die bombenfeste Füllung wieder aufzubohren, den Wurzelkanal mit allerlei Feilgerät zu reinigen und unter Einbettung einer beruhigenden Medizin provisorisch zu verschließen.

"Was mache ich, wenn er sich am Wochenende wieder meldet?", frage ich und sehe ihr erwartungsvoll in die Augen, damit sie mir für den Notfall ihre private Handynummer anvertraut. "Ich gebe Ihnen mal eine Sonde mit. Damit können Sie selbst den Zahn öffnen, und der Druck kann dann entweichen.". Voller Verständnis schaut sie in meine immer noch erwartungsvollen Augen, die wohl gerade beginnen, einen Anflug von Panik widerzuspiegeln und nicht glauben wollen, dass dies alles gewesen sei. Meine Zahnärztin erbarmt sich: "Und wenn Sie es nicht selbst können, rufen Sie mich einfach auf meiner Handynummer an.". Erleichert sinke ich im Behandlungstuhl zusammen - die Sonde aus schwerem HenrySchein stainless steel liegt kühl und schwer in meiner Hand.

Sonntag. Manchmal meldet er sich. Nur ganz kurz und kaum spürbar. Dann zeige ich ihm im Spiegel das zahnärztliche Kratzgerät und prompt ist wieder Ruhe. Ich sage "Noch ein Mucks und ich mach dir ein Loch damit!" zu meinem Eckzahn und schon ist Schweigen. Er weiß, ich werde Ernst machen. Er spürt, dass er keine Chance hat weil ich ihn dann gnadenlos an meine Zahnärztin ausliefern werde, die ihn dann mit einer Wurzelspitzenresektion (WSR) endgültig ins Nirvana schicken wird. Es scheint zu wirken. Mein Zahn hat jetzt Respekt vor mir. Oder vor der WSR. Auf jeden Fall weiß er, wann man verloren hat.

Neon!
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