Außergewöhnliches

Dienstag, 9. Februar 2016

Die Vermessung des toten Raums

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Quelle: Giphy / TechNoir

Langsam, bedächtig, so geräuschlos wie möglich, steige ich die knarrenden Holztreppen des Hausflurs hinauf zur Wohnung meiner Mutter. Es ist ein altes 2-Parteien-Haus in einer ergrauten Arbeitersiedlung, lange vor dem zweiten Weltkrieg erbaut. Nun, einige Wochen nach ihrem Tod, muss ich das tun, was getan werden muss. Meine Schwester scheut noch immer die Konfrontation mit den verlassenen Gegenständen, die schmerzliche Leere, die Entscheidungen. Aber es lässt sich nicht länger hinausschieben.

Nur wenige wissen, dass man neben Vermögen und Schulden auch Mietverträge erbt. Nicht jeder Vertrag endet mit dem Tod. Wenn man als Erbe nicht kündigt, läuft ein geerbter Mietvertrag auf unbestimmte Zeit weiter, Mietzahlungen sind fällig, obwohl die Einnahmeseite (z.B. Renten) meist sofort versiegt. Ich lese, dass so einige Erben schnell in die Verschuldung gerieten, weil sie diese Verpflichtung nicht im Blick hatten. Die gesetzliche Kündigungsfrist beträgt komfortable 3 Monate — so lange kassiert ein Vermieter die volle Miete und kann sich gemächlich um eine Neuvermietung kümmern. Also verhandele ich mit der Wohnungsbaugesellschaft um das Recht, selbst einen Nachmieter zu suchen. Sie stimmen zu. Das ist gut, jedoch erhöht es auch den Druck, die Wohnung schneller als geplant zu räumen.

Langsam, bedächtig, so respektvoll wie möglich, schreite ich durch die Zimmer, differenziere die Gegenstände, nehme sie in meine Hände, ermittle ihren emotionalen oder faktischen Wert, für meine Schwester, für mich, für Freunde oder gar fremde ebay-Käufer, enträtsele den Inhalt von Schränken und Schubladen, suche dazu nach passenden Erinnerungen und Geschichten in meinem Kopf. In ihrem Nachtschränkchen neben dem Bett finde ich einen Haarzopf und die Hornbrille ihrer nach dem Krieg verstorbenen Mutter in einem fast zerfallenen Briefumschlag. Nie hat sie uns den gezeigt. In einem Glas im Wohnzimmerschrank liegen die Gebisse mit den Goldzähnen meiner Opas, Omas, Uropas. In der Küche hängt die kleine Korkwand mit Zetteln, Zeitungsausschnitten, Bildern aus ihrem Leben: wir als kleine Kinder, Mutter und Vater, die Halbschwester, das Büro, der Garten, die Parties, eine Liste mit Geburtstagen der Freunde. "Schreib dein Leben auf ein Stück Papier, und warte, bis die Zeit vergeht!". Ich muss unwillkürlich an die alte Textzeile des Spliff-Songs denken.

Was also bleibt, wenn du fort bist? Wenn du verbrannt, verstreut, in einer Urne vergraben bist. Eine Korkwand, eine CD-Sammlung von André Rieu, die gesammelte Romanedition von Ken Follett. Was bleibt, wenn die Spuren deines Lebens verteilt, eingelagert, verkauft oder entsorgt wurden? Es bleiben die schönen Erinnerungen, die liebevollen Gedanken, die auf Familienfeiern erzählten Geschichten derer, die überbleiben. Bis auch sie sterben. Dann bist du ganz verschwunden, wie Tränen im Regen.

 I’ve seen things you people wouldn’t believe. Attack ships on fire off the shoulder of Orion. I’ve watched C-beams glitter in the dark near the Tannhauser Gate. All those moments will be lost in time, like tears in the rain.
Roy Batty

Zwei Wochen später ist die schwere Aufgabe vollbracht. Die Wohnungs- und Kellerräume sind leer. Der Sperrmüll hat die Eichenschrankwand und andere Dinge mitgenommen, die selbst die Caritas als Möbelspende abgelehnt hat. Ich habe ein junges sympathisches Nachmieterpärchen gefunden, die sich sehr über ihre erste Wohnung freuen, da sie (weil von schwarzer Hautfarbe) bislang immer Absagen bekamen.

Langsam, traurig, und gedankenverloren, gehe ich ein letztes Mal durch die leeren Räume. Die Wohnung meiner Mutter war die letzte Bindung an diesen Stadtteil, in dem ich einst groß geworden bin. Es gibt nun keinen Grund mehr, hierher zu kommen. Ein letztes Mal schaue ich durch das rückwärtige Fenster auf den grünen Innenbereich mit den uralten Buchen, auf die ich geklettert bin, als sie noch kleiner waren. Dann ziehe ich die Wohnungstüre zu und werfe meinen letzten Schlüssel in den Briefkasten. Und wieder schließt sich ein Kapitel.

Sonntag, 27. September 2015

Tempus fugit - amor manet

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Neun Monate hat dir der Knochenmann gelassen. Nun bist auch du gegangen und ich bin zurück auf dem Hochsitz der dunklen Gedanken.

Sonntag, 23. August 2015

Grenzerfahrung

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Nach den Nachrichten der letzten Wochen und den vielen Flüchtlingsbildern hatte ich eine leise Vorahnung. Aber es ist etwas anderes, es persönlich und ganz nah zu sehen. Schon 4-5 km vor Port de Calais liefen Gruppen von Flüchtlingen eng entlang der Standspur an der stark befahrenen Autobahn A16 in Richtung der Car Ferries.

Ich hatte davon gelesen, dass viele es versuchen, durch den Eurotunnel oder mittels LKW auf den Ferries nach England zu gelangen, aber hatte mir keine Vorstellung gemacht, dass es so viele sind. Ich sah mehrere Hundert, die in einem langen zerpflückten Treck auf der Autobahn gingen, die meisten jung, Mitte 20, manche erschöpft auf der Leitplanke sitzend, müde vom langen Weg, andere weiter energischen Schrittes die erfolgversprechende Route zur Kanalgrenze suchend.

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Der Verkehrsfluss staute sich, wurde langsam, kam schließlich ganz zum Erliegen. Ich sah, wie Flüchtlinge auf die rechte der zwei Autobahnspuren liefen, gewandt prüfend, ob bei den LKWs die rückwärtigen Türen zu öffnen waren. Viele Fahrer schienen diese bereits vorsorglich verriegelt und verplombt zu haben, bei anderen ließen sie sich problemlos öffnen und wurden, wenn sich Platz und eine Möglichkeit ergab, sofort geentert.

Der Stau löste sich auf und nach wenigen Kilometern änderte sich das Straßenbild: Aberdutzende von weißen Einsatzwagen mit hunderten schwarzuniformierten Polizisten in voller Kampfmontur mit Schild, Schlagstock und Pfefferspray riegelten die letzten 1000m zur Passgrenze ab. Alle LKW wurden streng kontrolliert. Kaum die Chance auf ein Durchkommen.

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Ich aber fuhr unbehelligt weiter, hielt meinen deutschen Ausweis an der französischen und englischen Passgrenze aus dem Fenster, wurde ohne Nachfrage durchgewunken und war 90 Minuten später in Dover.

Es ist ein seltsames Gefühl, ohne eigenes Zutun auf der besseren, akzeptierten Seite der Grenze ins Leben geworfen worden zu sein, mit dem richtigen Pass, einer erwünschten Nationalität, in einem verlässlichen, durch gesellschaftliche Instanzen gesicherten Rahmen.

Wir sollten mehr Menschen die Möglichkeiten eröffnen, ihre Vorstellungen und Träume von einem besseren Leben in Europa zu realisieren.

Dienstag, 11. August 2015

Tote Hose trainieren

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Das ist das Schöne an Düsseldorf: Man kann auch schon mal gemeinsam mit Campino im Fitnessstudio trainieren. So wie gestern Abend. Und was ich noch hätte sagen sollen: Das letzte Ring-Konzert in Mendig war wirklich ganz groß! Rock on! Oder, um's mit Bob Marley zu sagen: Light up the darkness!

Mittwoch, 15. Juli 2015

blog.de Plattform wird abgeschaltet

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Wer schon einmal vorausschauend studieren möchte, wie eine überraschend angekündigte Blogplattformschließung wirkt, welche Community-Mechanismen sie in Gang setzt und welche Lösungsmöglichkeiten gesucht, verworfen oder eingeschlagen werden, kann dies jetzt eindrücklich beim Noch-Bloganbieter blog.de nachvollziehen.

Blog.de hat vor wenigen Tagen mittels einfachem Rundmail die vollständige Einstellung der Plattform zum 15.12. angekündigt. Eine Begründung für die durchaus überraschende Abschaltung wurde — obwohl es sicher eine geben wird — bislang nicht kommuniziert.

Wie man sich vorstellen kann, ist die Stimmung bei den Blogbesitzern, die ihre Bloghistorie nun in Eigenregie auf eine neue Plattform bringen müssen, bevor diese endgültig nicht mehr zugreifbar ist, ziemlich am Boden (siehe z.B. [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8]). Zwar gibt es wohl, ähnlich wie bei Twoday, die Möglichkeit der Erstellung einer Exportdatei, allerdings scheinen viele User mit den technischen Anforderungen einer Migration überfordert.

Es ist wohl so, dass Facebook, Twitter und Co. den Business Case, also die generelle Rentabilität einer Blogplattform, zunehmend erodieren, insbesondere, wenn keine Adaption an die hohen Modernitäts- und Weiterentwicklungsansprüche der Benutzer stattfindet. Wordpress hat insofern noch ein akzeptables Standing, als es eine quelloffene, kostenfreie Software ist, für die eine große Entwicklergemeinschaft Plugin-Lösungen für jede nur denkbare Benutzeranforderung erstellt hat oder jederzeit erstellen kann.

Es ist daher eine valide Frage, welche Nische und Lebenserwartung eine proprietäre Blogplattform wie z.B. Twoday noch hat, wissend, dass Weiterentwicklungen eingestellt und Blogneueröffnungen vor nunmehr 15 Monaten abgeschaltet wurden. Angesichts der aktuellen Vorgänge bei blog.de sollte niemand sonderlich überrascht sein, wenn weitere Blogprovider diesem Beispiel über kurz oder lang folgen. Es kann wirklich nicht schaden, sich auf eine solche Situation vorzubereiten (wozu ich nachdrücklich rate).

Weiterführende Quellen:

tl;dr

  • Plattformbetreiber haben oft ein veritables Kommunikationsproblem
  • Blogplattformen können überraschend abgeschaltet werden
  • Vorbereitung ist alles und hilft, Panik zu vermeiden

Montag, 2. März 2015

Master in Drogenkartellstrategie

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Der kleine Neon wird später Strategiechef in einem mexikanischen Drogenkartell. Glauben Sie mir, ich bin genauso schockiert wie Sie, aber ich fürchte, darauf läuft es hinaus!

Dabei fing alles so harmlos an. Selbstverständlich hatte ich nichts dagegen, als er den Wunsch äußerte, in UK seinen Master in Strategy and International Business zu machen. Was kann man als Vater Klügeres tun, als die allerbeste Ausbildung zu ermöglichen?

Die ersten Bildrückmeldungen waren auch vielversprechend. Herrje, ich wünschte, ich hätte ähnlich schöne Rahmenbedingungen gehabt zu meiner Studienzeit.

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Der kleine Neon lernte viel Neues und Interessantes, z.B. dass in Indien Firmen, die aus mehreren Partnern bestehen, liquidiert werden müssen, sobald einer der Partner wahnsinnig wird. Gut zu wissen!

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Ein Masterstudium ist nunmal kein Ponyhof und so wurden die Anforderungen schnell mehr, die Schlagzahl intensiver und die Arbeitszeiten (oftmals) sehr viel länger als das auf Dauer gut ist.

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Doch für Kaffeevorrat war immer bestens gesorgt und ein Indriya hält dich auch bei einer anstrengenden 80-Stunden-Woche einigermaßen auf Trab.

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Auch auf die Ernährung legt der kleine Neon großen Wert und sorgt — wenn er denn mal zum Einkaufen kommt — für gleichbleibend hohe Qualität von Geschmacksträgern, mit denen man Reis oder Nudeln überschütten kann.

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Die Prüfungen in der Sporthalle waren nämlich äußerst hart. Wie will man in dieser niederträchtigen Sitzkonfiguration mal kurz auf das Blatt des Nebenprüflings linsen? Keine Chance.

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Aber der kleine Neon ist ehrgeizig, lernte hart und entwickelte kreative Techniken für den nützlichen Einsatz von Fensterscheibenfronten. Ich hoffe nur, es ist kein Permanent Marker. Bitte lass es kein Permanent Marker sein!

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Manchmal, wenn die Zeit arg knapp ist, schickt der kleine Neon mir Assignments (schriftliche Ausarbeitungen) zu, damit ich diese vor der Abgabe gegenlese. Im letzten Assignment ging es in Advanced Strategy um spieltheoretische Ansätze über Handlungsoptionen im Kampf zwischen der mexikanischen Regierung und den Drogenkartellen Sinaloa und Zeta.

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Jetzt kann der kleine Neon einen Game Tree für den mexikanischen Drogenkrieg aufstellen, die Kartelle anhand von Porter's 5 Forces analysieren und plausible Handlungsräume für mörderische Organisationen aufzeigen, wie sie am besten ihre Mitbewerber oder den Staat fertigmachen.

Das könnte den Einstieg in ein mexikanisches Drogenkartell ziemlich erleichtern. Die Industrie an sich finde ich auch gar nicht mal schlecht. Aber wenn ich ehrlich bin, hatte ich ihn mir doch marginal woanders vorgestellt. Abgesehen von Wein oder Whiskey kann ich mit Drogen nämlich gar nichts anfangen. Und anstatt eines monatlichen Päckchens Crystal Meth aus Michoacán hatte ich schon eher auf eine regelmäßige Flasche 18-jährigen Taliskers spekuliert. Kinder! Da machen'Se nix! Die haben einfach ihren eigenen Kopf.

Dienstag, 13. Januar 2015

Valar morghulis

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Seit meinem Zerwürfnis mit dem Tod sind einige Jahre vergangen. An der Seite meines Vaters habe ich gut und lange gegen ihn gekämpft, doch schließlich, so wie stets, obsiegte der Knochenmann und nahm ihn mit. Lange ließ er unsere Familie unbehelligt und schnitt die Leben an anderen Orten. Nun ist er zurück, der schwarze Stummmacher.

"So schwach habe ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt!", sagt meine Mutter und hustet in einem fort. Eine Beinthrombose ist in die Lunge gewandert und hat dort eine Embolie ausgelöst. "Diese Hilflosigkeit macht mich verrückt". Ihre Hände zittern, als sie nach einem Glas Wasser greift.

"Da ist noch etwas anderes", murmelt die junge Stationsärztin, als meine Schwester und ich in ihrem Arztzimmer sitzen. Sie schaut nervös in ihre Krankenakten und ich fühle, dass sie solche Situationen noch nicht oft erlebt hat. "Ihre Mutter hat Krebs, maligne Metastasen an den Lymphknoten, aber wir konnten den Herd noch nicht finden", sagt die Ärztin. "Dazu würden wir gerne eine Lymphknoten- und Beckenkammbiopsie durchführen, wenn Ihre Mutter zustimmt".

Zwei Wochen später haben wir einen Termin im medizinischen Zentrum. "Das bringt Ihnen nichts!", sagt die Onkologin deutlich zu nüchtern, während sie streng über ihre Halbbrille schaut, "der Eierstockkrebs hat bereits in Ihre Lymphknoten metastasiert, da nützt eine OP nichts mehr." Erst jetzt versteht meine Mutter die volle Tragweite dieser Analyse. "Kann ich denn gar nichts mehr dagegen tun?", fragt sie leise. "Das müssen Sie entscheiden", sagt die Ärztin bestimmt und kühl, "das ist eine Abwägung zwischen Lebenszeit und Lebensqualität. Sie können eine milde Chemotherapie machen, da haben Sie nicht viel zu verlieren.". Im Gegensatz zur jungen Stationsärztin hat diese hier schon so viele solcher Gespräche geführt, dass es sie wohl bereits langweilt; zumindest klingen Empathie und Engagement in meinen Ohren anders.

"Womit habe ich das verdient", fragt sie in die Stille, als wir wieder zuhause an ihrem Küchentisch sitzen, "ich habe doch immer so solide gelebt?". "Denk nicht über solche Fragen nach", antworte ich, "sie haben keinen Sinn und führen zu nichts. Lass uns lieber die Zeit nützen und genießen, die wir noch haben". "Du hast Recht", sagt sie, "und wir müssen einiges besprechen".

All diese vielen Götter und Religionen da draußen, die so viel Unglück und Schmerz über die Menschen gebracht haben. Dabei ist nur der Tod der alleinige, wahre Gott. Und das einzige, was wir ihm mit Verve täglich entgegenhalten können ist: "Heute nicht!". Valar morghulis!

Mittwoch, 24. Dezember 2014

Für Eugene - Always in the season

Vor 5 Jahren hat Eugene diesen Clip von Pomplamoose in ihren ersten Weihnachtskalender aufgenommen. Glücklicherweise habe ich die Originalaufnahme, die mittlerweile bei YouTube nicht mehr abrufbar ist, noch an anderer Stelle gefunden.

Für Eugene und uns, als kleine Erinnerung und Dank für ihre schönen Weihnachtskalenderzeiten auf Twoday.

Sonntag, 7. September 2014

Warum Twoday stirbt

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Eigentlich bin ich ein zutiefst positiv denkender Mensch. Das mal vorab. Jedoch, wem sich einmal die prinzipielle Kausalität eines gut gefüllten Waschbeckens erschlossen hat, dessen Abflussstöpsel gezogen, dessen Wasserzulauf hingegen für immer geschlossen wurde, der kann sich auch mühelos in den kommenden, leidvollen Sterbeprozess Twodays hineindenken.

Die Faktenlage ist eindeutig: Vor fünf Monaten wurde im Rahmen einer geplanten Infrastrukturumstellung das Anlegen neuer Blogs gesperrt. Seitdem sind keine neuen Blogs hinzugekommen, doch viele Blogger:innen sind aus Unzufriedenheit gegangen. Spätestens vor drei Monaten hat die Geschäftsführung der vi knallgrau GmbH offensichtlich die Entscheidung getroffen, das Anlegen neuer Blogs prinzipiell abzuschalten und damit bewusst die Strategie eines langsamen Ausblutens Twodays initiiert.

Die grundsätzlich nachvollziehbare strategische Business-Entscheidung, das ehemalige Vorzeigeprojekt Twoday (welches übrigens schon seit längerem auch nicht mehr auf der knallgrau-Website referenziert wird) als mittlerweile reinen Kostenfaktor ohne verbliebenen Marketingwert abzuschalten, wird jedoch zugunsten einer langsamen Degeneration und Auflösung nicht offen und proaktiv kommuniziert — womöglich, um zuviel publizierter Öffentlichkeit, veritablen Shitstorm-Risiken und potenziellen Abo-Regressforderungen der Twoday-Bezahlkunden aus dem Weg zu gehen.

Wie man's auch dreht: die Kommunikationsstrategie Twodays ist ein unfaßbares Desaster. Seit 5 Monaten melden sich stetig neue Blogger an, nur um anschließend festzustellen, dass sie keine neuen Blogs mehr eröffnen dürfen. Außer der gebetsmühlenartigen Wiederholung des Satzes "Derzeit ist keine Änderung geplant." gibt es keinen professionellen Versuch einer vorausschauenden, service- und kundenorientierten Kommunikation, die dabei hilft, unnötige Zeit sowie überflüssige Nachfragen und Postings für Neumitglieder zu vermeiden — geschweige denn eine Bemühung, den teils langjährigen Bestandsmitgliedern mal eine klare Vorstellung von der (limitierten) Zukunft Twodays zu vermitteln.

Der Innovations- und Entwicklungsanspruch Twodays ist ein Bild des Grauens. Selbst minimale Aufwendungen für Reparaturen (z.B. Thalia.at Büchersuche) oder die Bereitstellung eines funktionierenden "BetterEditors" oder die Implementierung eines sicheren, fehlerfreien Bezahlprozesses sind offensichtlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Fun Fact:
Laut Skin des Bettereditor-Javascripts hat Matthias Platzer die letzte Änderung am 16.04.2004 gemacht, vor knapp zehneinhalb Jahren. Kein Wunder, dass dieser z.B. im Chrome-Browser nicht funktioniert — den gibt's erst seit 2008.

Um dies hier ganz klar zu sagen: Ich kritisiere hiermit nicht die Arbeit von kender oder skydance, die im Namen knallgraus den Betrieb/Support der Blogplattform managen. Sie bewegen sich in einem Lösungsraum, der durch strategische GF-Entscheidungen mittlerweile sehr eng geworden sein dürfte und eher dem nahe kommt, wie wenn man auf der Titanic nochmal die Sonnenstühle gerade rückt.

Ich bedauere und kritisiere hingegen:

  • das kleinherzige Wegducken von knallgrau im Sinne einer fehlenden, offenen und ehrlichen Kommunikationslinie in Richtung bestehender und neuer Plattformmitglieder
  • die intendierte Politik des passiven, langsamen Ausblutens durch den Entzug jeglicher Entwicklungskapazität, der Verneinung minimal erforderlicher Innovationsschritte und der mutwilligen Regression des Servicelevels bis zur Schmerzgrenze
  • die bewusste Dekonstruktion eines langjährigen Produktes im Rahmen eines schleichenden Austrocknungsprozesses und einer desaströsen Image-Entwicklung unter Inkaufnahme eines zunehmenden Blogger-Exodus

Jede/r Twoday-Blogger:in muss sich nach der oben beschriebenen Rahmensetzung der GF klar darüber sein, dass die Plattform ein glasklares Verfallsdatum bekommen hat, wichtige Reparaturen i.d.R. nicht mehr durchgeführt werden und eine Weiterentwicklung nicht mehr stattfindet. Die Frage, WANN Twoday mangels Masse und Inhalt final abgeschaltet wird, ist weiterhin offen. Die Frage jedoch, OB Twoday terminiert wird, wurde m.E. vor 5 Monaten ziemlich klar beantwortet.

Samstag, 19. Juli 2014

Darth Vader, Propofol und der Hard Reset

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Schon mit 18 war es so, das mein Herz von Fall zu Fall ins Stolpern kam. Manchmal, wenn ich mich schnell aufrichtete, aber oft auch einfach ganz ohne äußeren Anlass. "Du bist einfach zu schnell gewachsen, Junge!", pflegte meine Mutter dann als Erklärung anzuführen, wobei sie streng guckte, als wenn ich etwas dafür konnte, zu schnell gewachsen zu sein. Immerhin klang die Begründung plausibel für einen Achtzehnjährigen, der in kurzer Zeit auf 196cm geschossen war - und so machte ich die nächsten Jahrzehnte wenig Aufhebens um die temporären Rhythmusstörungen. Meine Methode, bei Herzrasen so lange die Luft anzuhalten, bis es sich wieder von selbst beruhigte, war nämlich regelmäßig äußerst erfolgreich! Bis vorgestern.

Man weiß es sofort, wenn etwas anders ist. Trotzdem versuchte ich die bewährte Luftanhaltmethode, bis ich verzweifelt nach Luft schnappen musste, um nicht blau anzulaufen. Keine Reaktion. Mein Herz zeigte mir diesmal die unterkühlte Schulter. Ich legte mich flach hin, dann auf den Rücken, drehte mich auf beide Seiten, atmete nicht mehr. Nichts funktionierte. So eine ausgewachsene Tachykardie kann einem schon Sorgen machen. Ich las von Gerinnseln, Gehirnschlägen, Kreislaufstillständen und anderen unschönen Entwicklungen, die einem den Tag verderben können. Diesmal war es wohl wirklich Zeit für einen Krankenhausbesuch.

Seit gefühlt 50.000 Jahren zahle ich in eine Zusatzversicherung ein, die mich im Krankenhaus (und nur da) vom gemeinen Kassenpatienten auf die Privatstation katapultiert. Heute war also Payback-Time und ich freute mich auf zarte, geschmeidige Stationsschwestern mit sonoren Stimmen, wolkig aufgeschlagenen Betten in einer luxuriösen Krankenhaussuite mit maximal einem Mitbewohner. Als wenn! Leider wäre an diesem Abend nichts mehr auf der Privatstation frei, eröffnet mir der Nachtschichtarzt in der Zentralambulanz, nachdem er meine galoppierende Herzfrequenz nach einigen gescheiterten Betablocker-Infusionen erfolgreich mit Digitalis (Tollkirsche) herunterschrauben kann. "Sie brauchen aber nicht auf dem Gang liegen; wir haben da noch einen Platz auf der Normalen". Ich bedanke mich artig, während mein Herzschlag endlich unter 100 fällt.

Es ist schon nach 23 Uhr als ich auf die Station komme. Im Zimmer ist schon abgedunkelt und das Licht aus. Ich werde in die Mitte zwischen zwei Darth Vader geschoben, die beide nur kurz aufwachen und dann weiter um die Wette schnarchen, als wenn sie um den Titel in einer Darth-Vader-Sound-Alike Competition kämpfen. Mein Herz rollt und schnauft noch viel zu schnell. Unmöglich zu schlafen. Um 4:00 kommt der Stationsarzt, misst Puls und gibt mir eine Thrombosespritze. Ich würde gerne wenigstens noch 30 Minuten schlafen, aber die Darth Vader Brüder kämpfen immer noch keuchend um den Todesstern. "Aufwachen, Betten machen und alles einmal durch die Waschstraße!", brüllt eine Ledernacken-Schwester gegen 6:15 Uhr. Ich träume vom verpassten Wecken auf der Privatstation, wo man bestimmt in sanfter Hingabe von einer blendend gelaunten Lena Gercke wachgeküsst wird.

Nach dem für mich ausfallenden Frühstück ("Sie müssen nüchtern bleiben!") folgt eine unangenehme, aber wichtige Vorarbeit. Die TEE-Untersuchung soll sicherstellen, dass man mir später kein Blutgerinnsel auseinandersprengt. Schön ist was Anderes, es sei denn, man mag mittelfingerdicke 50cm in der Speiseröhre. "Alles klar für die Kardioversion! Wir können das gleich auf der Intensivstation durchziehen, wenn sie wollen!?", sagt der Oberarzt, nachdem er 15 Minuten am Bildschirm alles Mögliche vermessen und analysiert hat. "Sie bekommen Propofol, träumen was Schönes und wir brutzeln sie einmal kurz durch! Über die Risiken hat man sie aufgeklärt?". Ich nicke stumm. Nicht noch eine Nacht mit diesem verrückten Herzschlag!

Ich weiß jetzt, warum Michael Jackson so süchtig nach Propofol war. Das milchige Zeug macht wirklich wunderschöne Träume und man wird ohne anschließende Verwirrtheitszustände aus- und angeknipst wie ein Lichtschalter. Ich schaue auf die Uhr. Es ist 5 vor 12. Als ich aufwache, ist es 5 nach. "Wann fangen Sie an?", frage ich. "Schon alles passiert!", sagt die Intensivschwester, "merken Sie's nicht?". Erst jetzt horche ich auf meinen Herzschlag. Wunderbar jungfräulich schlägt es im Sinusrhythmus. Still danke ich meinem Sinusknoten für sein kooperatives Verhalten, denn nicht immer klappt es so problemlos. Ich fühle mich unglaublich befreit und es wird grad noch besser: "Auf der Privatstation ist etwas frei geworden! Wir bringen Sie gleich dorthin!".

In 20 Minuten werde ich zufällig Josef kennenlernen, der seinerseits zufällig herausfinden wird, dass er jahrelang mit meinem Vater eng zusammengearbeitet hat. "Die Welt ist so klein!", wird er sagen, und eine Träne wegdrücken, als ich ihm sage, dass er vor 4 Jahren gestorben ist. Wir haben uns lange unterhalten, vor und während des nächtlichen großen Kirmes-Feuerwerks, das wir so gut von unserem Fenster beobachten konnten. Aber das ist eine andere Geschichte.

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