Zerwürfnis mit dem Tod

Es dämmert bereits. Die beginnende Dunkelheit drängt mich zur Eile. Unruhig und hastig laufe ich über den Weg zum Hauptportal des Krankenhauses, stürze die Treppen hinauf, lasse endlich meine flache Hand auf den Türbuzzer knallen bis sich die Stimme meldet. "Es ist schon spät...", sagt sie, und dann, nach einem Zögern, "Gut, kommen sie herein!". Nach 19:00 Uhr sind Besucher auf der Intensivstation grundsätzlich nicht gern gesehen. Ich kann das verstehen.

"Ihr Vater liegt jetzt dort drüben", flüstert die indische Krankenschwester. Ihre Stimme klingt seltsam reduziert und gepresst, so wie wenn man sich in einer Aufbahrungshalle etwas zuflüstern würde, wenn man vermeiden will, dass andere Anwesende, tot oder lebendig, es hören könnten. "Danke, dass Sie mich noch hereingelassen haben", sage ich. Sie lächelt kurz. Das Licht ist schon heruntergedimmt. Es ist nun Schlafens- und Sterbenszeit in den Zimmern entlang der beiden Flure.

Rechts und links vom Bett stehen Batterien von Maschinen, Computern, Monitoren. Dutzende von Informationen und Signalen, die vergeblich nach meiner Aufmerksamkeit schreien. Ruhig und gleichmäßig rotiert die Blutpumpe des Dialysegeräts. "Wusstest du, dass zwei Beutel der Dialyseflüssigkeit 150 Euro kosten?", sagt mein Vater leise, als erfülle es ihn mit einem gewissen Stolz, dass die Krankenkasse dies nach allem noch für ihn bezahlt. Ich beuge mich über das Bett und greife für ihn nach dem Trinkbecher. Als ich mich wieder aufrichte, sitzt er plötzlich da, am Fußende, schwarz, unbeweglich, abwartend. Ich spüre, dass er mich anschaut, aber ich kann seine Augen nicht sehen. Ein kalter Hauch schlängelt sich durchs Zimmer und umfließt gierig meine Beine.

"Weißt du, wer ich bin?", sagt eine schneidende Stimme. "Ja. Du bist der, der alle gleich macht...", antworte ich, "...aber du kommst zu früh! Weder er noch ich werden heute mit dir gehen". "Ich komme meist ungelegen und bin selten willkommen.", gibt die Stimme trocken zurück.
"Ich habe nichts gegen dich, jedes Leben hat dich fest gebucht, und es ist gut so. Doch sind deine Methoden oft zu fragwürdig und grausam als dass ich dich wirklich sympathisch finden könnte.", antworte ich in Richtung des schwarzen Umhangs.
"Seit Tausenden von Jahren bin ich dazu verdammt, immer das Gleiche zu tun - findest du nicht, dass ich es verdiene, ein wenig Abwechslung in meine Arbeit zu bringen?". Für eine Sekunde sehe ich eine skeletierte Hand unwirsch durch die Luft kreisen. "Mit Verlaub, du bist ein Arschloch", entgegne ich dem zynischen Mann am Bettende, der einst ein gerechter Tod sein wollte.

Ich höre ein wütendes Keuchen und danach ein zischendes Geräusch die Luft durchschneiden. Direkt vor meinen Augen stoppt die blitzende, rasiermesserscharfe Klinge der Sense des Mannes, den man besser nicht wütend macht. "Nicht heute, nicht morgen, nicht dieses Jahr. Nicht er, nicht ich, niemand in unserer Familie, und das ist mein letztes Wort!", sage ich bestimmt und etwas zu laut.

"Du bist mutig...", sagt der Tod, der nun ein gelangweilter, zynischer Mann war. "...und die Mutigen sterben meist am ehesten, weil sie sich überschätzen.". Im Vorbeigehen streicht sein knochiger Finger über meinen eisigen Nacken. Mit einem Ruck zieht er die Sense zurück. "Wir sehen uns", zischt er noch, dann ist er plötzlich verschwunden.

"Ja, wir sehen uns...", flüstere ich ihm hinterher, "aber heute nicht mehr". Die Blutpumpe zieht langsam ihre Kreise. Puls und Blutdruck zeigen normale Werte. Er schläft.

Neon!
Dem haben Sie es aber gegeben. Mögen Ihnen dazu nie die Worte fehlen.
Es ist ein Sieg auf Zeit. Der Herr macht üblicherweise keine Deals und bekommt am Ende immer, was er will.
Nanana!
Schauen Sie sich mal den an!
Sie sind mir vielleicht ein Kaspar Kasper, Herr Mahakala.
Ich hätte da noch ein Beispiel.
Ich denke, auch Yopi wird irgendwann den letzten Besuch bekommen. Obwohl ich kein Geld darauf wetten würde. Der Mann muss einen ganz besonderen Deal mit dem Tod haben.
Schlimmer!
Der hat 'nen Deal mit Thomas Gottschalk.
Den Eindruck, dass er sich zeitweise rumkommandieren lässt, hatte ich auch schon.
Wie lange genau? Und wen oder was haben Sie ihm dafür versprechen müssen?
Über Nacht. Und ich musste nichts weiter tun, als furchtbar ehrlich zu sein.
Zum ersten Mal sah ich ihn am Bett meines Opas 1988, allerdings recht friedlich---und wir verabschiedeten uns in dreiseitigem Einvernehmen. Von mir wollte er zu dem Zeitpunkt nichts.
Hm, eine Nacht ist nicht sehr lange. Ich bräuchte was für länger, am besten aus der Kategorie Wunder oder Spontanheilung. Oder ersatzweise eine Vertausendfachung des Menschheitsmedizinwissens per morgen Mittag. Sie können dazu gerne rumkommandieren.
Orinoko:
Vor ein paar Jahren habe ich einmal von ihm geträumt, für mich sogar ungewöhnlich klar. War aber zum Glück nicht derart strapazierend wie hier.
Ich habe mich nur bei der Gelegenheit gewundert, daß die schräge Szenerie sich auf einem Bazar abspielte.
Geträumt habe ich es nicht, Herr Orinoko. Es ist eine surreale Mixtur aus Empfindungen und gefühlten Wahrnehmungen am Bett eines Todkranken, alten Kindergeschichten wie dieser und dem Erstaunen darüber, wie sehr ein Mensch dem Tod widerstehen kann, wenn er nicht gehen will.

Wenn ich weniger rational wäre, würde ich jetzt und hier schwören, dass ich den Sensenmann schon mehrere Male am Bett meines Vaters wähnte und fast körperlich spürte, wie er nach einer Zeit vergeblichen Wartens verbittert abzog.
Orinoko:
Für derlei Wahrnehmungen bin ich wohl nicht offen genug. Das ist aber auch wohl nicht jedem gut bekömmlich. Vermutlich könnte ich das nicht so souverän handhaben.
Naja, wenn ich's souverän verarbeiten könnte, hätte ich sicher nicht in den letzten paar Wochen 8 kg abgenommen. Wenn das so weitergeht, sehe ich bald aus wie Bruce Darnell.
Dann
allerdings passten Sie auch wieder in den Mini.
8 Kilo??? Nicht, dass dich bald jemand mit dem Gevatter verwechselt, wenn du so weiter schrumpfst. Vielleicht sollte zur Abwechslung ich mal ein Care-Paket schicken.
@Herr Pathologe - Mini-Rock oder Mini-Clubman? Und selbstverständlich passt mir beides.

@Keks - ich habe bereits strategische Gegenmaßnahmen erarbeitet und plane, mich am WE mit einer riesigen, selbst gebackenen "Betty Bossis Mississippi Cake" (Rezept: Frau Kochtopf) gewichtsmäßig in die Gegenrichtung aufzulehnen. Werde berichten.
Dazu
mal keinen Kommentar. Ausnahmsweise.
(Interessantes Bild)
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