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Die Zeit fliegt. Sie saugt dich ein und spuckt dich aus und lässt dich ratlos stehen. Mehr als 2 Monate ist es her, dass er in meinen Händen starb. Nichts ist mehr so wie vorher, wenn dein Vater oder deine Mutter gegangen ist. Eine uralte, vertraute, unersetzliche Bindung ist zerstört - und niemals, niemals, niemals wird es sie wieder geben.

Und so stand ich also an diesem nasskalten Septembernachmittag in seinem verlassenen Garten, alleine, und sah, dass er auch hier fehlte. Äpfel lagen in Scharen am Boden, verfault, ungepflückt, so wie die Pflaumen, die danach schrien, geerntet zu werden. Und plötzlich strömten all diese Erinnerungen auf mich ein, all diese Momente, in denen wir redeten und lachten, und die sich nun schon so weit weg anfühlten. "Ich glaube, ich bin nicht mehr lange hier", sagte er einmal zu mir im Schatten an der großen Hecke, kurz bevor er wieder ins Krankenhaus musste. Und wieder schnürt es mir die Kehle zu, als ich daran denke. Nichts kann man tun und nichts kann man ändern, wenn die Zeit gekommen ist.

Dein Leben hängt an einem seidenen Faden und es taumelt von einem Zufall in den nächsten. Nicht, dass man es nicht beeinflussen könnte: dein Leben ist absolut eine stringente, wohlaufgereihte Kette deiner Entscheidungen, die du minütlich, stündlich, täglich triffst. Aber am Ende des Tages gibt es einen Teil, den du nicht bestimmen kannst, diesen kleinen, überragend-wichtigen Teil, worein du geboren wirst, wen du in deinem Leben triffst, an welchen Krankheiten du erkrankst, welche Unfälle du hast, wieviele Stunden der Arbeitstag deines Arztes bereits hatte, bevor du in den OP kommst.

Es gibt Dinge, die liegen außerhalb deiner Entscheidungs- und Planungskompetenz. Bis dahin kannst du alles richtig gemacht haben, alle Entscheidungen für dich richtig getroffen haben, aber wenn dieser eine Punkt kommt, an dem deine Dispositionen keine Rolle mehr spielen, bist du schneller tot als du es dir je vorstellen konntest. Und verdammt, es ist nicht schön, zu realisieren, dass man nicht Herr des eigenen Masterplans ist.

All diese Dinge gingen mir im Kopf herum und schließlich konnte ich nicht gehen, ohne die mich anschreienden Äpfel und Pflaumen einzusammeln und so zum Zufall in ihrer Geschichte zu werden. Ich sammelte und sammelte, soviel ich tragen konnte, um dem frechen, unerbittlichen Zufall wenigstens ein bisschen entgegen zu setzen. Dann setzte ich mich auf die verwitterte Holzbank, die er vor Jahren selbst gebaut hatte, aß eine Handvoll der Pflaumen, rief mir sein Gesicht in Erinnerung und akzeptierte das Leben als das was es ist.

Neon!
Aus dem Grund versuche ich zumindest, jeden Moment bewußt zu erleben. Egal wie, egal wo. Auch wenn es manchmal sehr schmerzhaft ist.

Und...du hast mir ein wenig Angst gemacht. (Schmarrn, ich habe eine Scheiß-Angst!)
Es macht eigentlich keinen Sinn, das vor einem liegende Leben mit der Angst vor Geschehnissen zu blockieren, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 100% eintreffen werden. Du wirst irgendwann deine Eltern verlieren und du wirst irgendwann sterben - das stimmt. Aber die Zeit bis dahin gehört dir. Use it or lose it. ;)
Gut, dass Sie diesen Ort (noch?) haben.
Ja, und ich glaube, meine Mutter plant, ihn noch eine Weile zu behalten. Eine gute Entscheidung.
Hu...jetzt ist mir auch ganz anders....
Es tut mir leid, Fräulein Caliente, aber auch SIE können nicht ewig in Italien Männerherzen brechen.
Ein sehr schöner, toll geschriebener Text, der mich noch nachdenklicher stimmt, als ich es eh schon bin...

Ich überlege gerade, warum ich Dich noch nicht bei mir verlinkt hatte. Das werde ich später gleich mal nachholen...
Vielen Dank für dein schönes Kompliment! Ich denke, der brauchbare Text liegt an einer Überdosis Sanostol + Vitamin C, die ich wg. der Grippe in meinem Körper akkumuliert habe.

Und ja - das versäumte Verlinken ist wirklich unverzeihlich! ;)
Oh, das mit dem Sanostol muß ich auch mal probieren. Das ist eh so lecker, da werde ich gleich mal die ganze Flasche hinter die Binde kippen... ;-)

Du befindest Dich jetzt in meiner Linkliste... ;-)
Huch, und gleich auf über neben Frau Nessy. Wenn die das wüsste... *g
Ich verrate es ihr nicht... ;-)

Aber die Dame ist ja eh umgezogen... Vielleicht vergißt sie uns jetzt... *schnief*
Freni (Gast):
Traurig
Ein paar Tage vor dem Tod meiner Mutter sagte sie zu mir. "Sei nicht traurig, du brauchst mich jetzt nicht mehr." Ich habe mich an ihre Seite gelegt und dann haben wir zusammen geweint.
Glücklich sind die Menschen, die von allem losgelassen haben, wenn ihre Zeit gekommen ist, selbst von dem, das sie am meisten liebten. Deine Mutter hat das vermocht - und es dir gesagt. Schön, dass du in diesem Moment bei ihr warst, Freni.
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