Zerwürfnis mit dem Tod
"Ihr Vater liegt jetzt dort drüben", flüstert die indische Krankenschwester. Ihre Stimme klingt seltsam reduziert und gepresst, so wie wenn man sich in einer Aufbahrungshalle etwas zuflüstern würde, wenn man vermeiden will, dass andere Anwesende, tot oder lebendig, es hören könnten. "Danke, dass Sie mich noch hereingelassen haben", sage ich. Sie lächelt kurz. Das Licht ist schon heruntergedimmt. Es ist nun Schlafens- und Sterbenszeit in den Zimmern entlang der beiden Flure.
Rechts und links vom Bett stehen Batterien von Maschinen, Computern, Monitoren. Dutzende von Informationen und Signalen, die vergeblich nach meiner Aufmerksamkeit schreien. Ruhig und gleichmäßig rotiert die Blutpumpe des Dialysegeräts. "Wusstest du, dass zwei Beutel der Dialyseflüssigkeit 150 Euro kosten?", sagt mein Vater leise, als erfülle es ihn mit einem gewissen Stolz, dass die Krankenkasse dies nach allem noch für ihn bezahlt. Ich beuge mich über das Bett und greife für ihn nach dem Trinkbecher. Als ich mich wieder aufrichte, sitzt er plötzlich da, am Fußende, schwarz, unbeweglich, abwartend. Ich spüre, dass er mich anschaut, aber ich kann seine Augen nicht sehen. Ein kalter Hauch schlängelt sich durchs Zimmer und umfließt gierig meine Beine.
"Weißt du, wer ich bin?", sagt eine schneidende Stimme. "Ja. Du bist der, der alle gleich macht...", antworte ich, "...aber du kommst zu früh! Weder er noch ich werden heute mit dir gehen". "Ich komme meist ungelegen und bin selten willkommen.", gibt die Stimme trocken zurück.
"Ich habe nichts gegen dich, jedes Leben hat dich fest gebucht, und es ist gut so. Doch sind deine Methoden oft zu fragwürdig und grausam als dass ich dich wirklich sympathisch finden könnte.", antworte ich in Richtung des schwarzen Umhangs.
"Seit Tausenden von Jahren bin ich dazu verdammt, immer das Gleiche zu tun - findest du nicht, dass ich es verdiene, ein wenig Abwechslung in meine Arbeit zu bringen?". Für eine Sekunde sehe ich eine skeletierte Hand unwirsch durch die Luft kreisen. "Mit Verlaub, du bist ein Arschloch", entgegne ich dem zynischen Mann am Bettende, der einst ein gerechter Tod sein wollte.
Ich höre ein wütendes Keuchen und danach ein zischendes Geräusch die Luft durchschneiden. Direkt vor meinen Augen stoppt die blitzende, rasiermesserscharfe Klinge der Sense des Mannes, den man besser nicht wütend macht. "Nicht heute, nicht morgen, nicht dieses Jahr. Nicht er, nicht ich, niemand in unserer Familie, und das ist mein letztes Wort!", sage ich bestimmt und etwas zu laut.
"Du bist mutig...", sagt der Tod, der nun ein gelangweilter, zynischer Mann war. "...und die Mutigen sterben meist am ehesten, weil sie sich überschätzen.". Im Vorbeigehen streicht sein knochiger Finger über meinen eisigen Nacken. Mit einem Ruck zieht er die Sense zurück. "Wir sehen uns", zischt er noch, dann ist er plötzlich verschwunden.
"Ja, wir sehen uns...", flüstere ich ihm hinterher, "aber heute nicht mehr". Die Blutpumpe zieht langsam ihre Kreise. Puls und Blutdruck zeigen normale Werte. Er schläft.
Neon!
KasparKasper, Herr Mahakala.