Darth Vader, Propofol und der Hard Reset
Schon mit 18 war es so, das mein Herz von Fall zu Fall ins Stolpern kam. Manchmal, wenn ich mich schnell aufrichtete, aber oft auch einfach ganz ohne äußeren Anlass. "Du bist einfach zu schnell gewachsen, Junge!", pflegte meine Mutter dann als Erklärung anzuführen, wobei sie streng guckte, als wenn ich etwas dafür konnte, zu schnell gewachsen zu sein. Immerhin klang die Begründung plausibel für einen Achtzehnjährigen, der in kurzer Zeit auf 196cm geschossen war - und so machte ich die nächsten Jahrzehnte wenig Aufhebens um die temporären Rhythmusstörungen. Meine Methode, bei Herzrasen so lange die Luft anzuhalten, bis es sich wieder von selbst beruhigte, war nämlich regelmäßig äußerst erfolgreich! Bis vorgestern.
Man weiß es sofort, wenn etwas anders ist. Trotzdem versuchte ich die bewährte Luftanhaltmethode, bis ich verzweifelt nach Luft schnappen musste, um nicht blau anzulaufen. Keine Reaktion. Mein Herz zeigte mir diesmal die unterkühlte Schulter. Ich legte mich flach hin, dann auf den Rücken, drehte mich auf beide Seiten, atmete nicht mehr. Nichts funktionierte. So eine ausgewachsene Tachykardie kann einem schon Sorgen machen. Ich las von Gerinnseln, Gehirnschlägen, Kreislaufstillständen und anderen unschönen Entwicklungen, die einem den Tag verderben können. Diesmal war es wohl wirklich Zeit für einen Krankenhausbesuch.
Seit gefühlt 50.000 Jahren zahle ich in eine Zusatzversicherung ein, die mich im Krankenhaus (und nur da) vom gemeinen Kassenpatienten auf die Privatstation katapultiert. Heute war also Payback-Time und ich freute mich auf zarte, geschmeidige Stationsschwestern mit sonoren Stimmen, wolkig aufgeschlagenen Betten in einer luxuriösen Krankenhaussuite mit maximal einem Mitbewohner. Als wenn! Leider wäre an diesem Abend nichts mehr auf der Privatstation frei, eröffnet mir der Nachtschichtarzt in der Zentralambulanz, nachdem er meine galoppierende Herzfrequenz nach einigen gescheiterten Betablocker-Infusionen erfolgreich mit Digitalis (Tollkirsche) herunterschrauben kann. "Sie brauchen aber nicht auf dem Gang liegen; wir haben da noch einen Platz auf der Normalen". Ich bedanke mich artig, während mein Herzschlag endlich unter 100 fällt.
Es ist schon nach 23 Uhr als ich auf die Station komme. Im Zimmer ist schon abgedunkelt und das Licht aus. Ich werde in die Mitte zwischen zwei Darth Vader geschoben, die beide nur kurz aufwachen und dann weiter um die Wette schnarchen, als wenn sie um den Titel in einer Darth-Vader-Sound-Alike Competition kämpfen. Mein Herz rollt und schnauft noch viel zu schnell. Unmöglich zu schlafen. Um 4:00 kommt der Stationsarzt, misst Puls und gibt mir eine Thrombosespritze. Ich würde gerne wenigstens noch 30 Minuten schlafen, aber die Darth Vader Brüder kämpfen immer noch keuchend um den Todesstern. "Aufwachen, Betten machen und alles einmal durch die Waschstraße!", brüllt eine Ledernacken-Schwester gegen 6:15 Uhr. Ich träume vom verpassten Wecken auf der Privatstation, wo man bestimmt in sanfter Hingabe von einer blendend gelaunten Lena Gercke wachgeküsst wird.
Nach dem für mich ausfallenden Frühstück ("Sie müssen nüchtern bleiben!") folgt eine unangenehme, aber wichtige Vorarbeit. Die TEE-Untersuchung soll sicherstellen, dass man mir später kein Blutgerinnsel auseinandersprengt. Schön ist was Anderes, es sei denn, man mag mittelfingerdicke 50cm in der Speiseröhre. "Alles klar für die Kardioversion! Wir können das gleich auf der Intensivstation durchziehen, wenn sie wollen!?", sagt der Oberarzt, nachdem er 15 Minuten am Bildschirm alles Mögliche vermessen und analysiert hat. "Sie bekommen Propofol, träumen was Schönes und wir brutzeln sie einmal kurz durch! Über die Risiken hat man sie aufgeklärt?". Ich nicke stumm. Nicht noch eine Nacht mit diesem verrückten Herzschlag!
Ich weiß jetzt, warum Michael Jackson so süchtig nach Propofol war. Das milchige Zeug macht wirklich wunderschöne Träume und man wird ohne anschließende Verwirrtheitszustände aus- und angeknipst wie ein Lichtschalter. Ich schaue auf die Uhr. Es ist 5 vor 12. Als ich aufwache, ist es 5 nach. "Wann fangen Sie an?", frage ich. "Schon alles passiert!", sagt die Intensivschwester, "merken Sie's nicht?". Erst jetzt horche ich auf meinen Herzschlag. Wunderbar jungfräulich schlägt es im Sinusrhythmus. Still danke ich meinem Sinusknoten für sein kooperatives Verhalten, denn nicht immer klappt es so problemlos. Ich fühle mich unglaublich befreit und es wird grad noch besser: "Auf der Privatstation ist etwas frei geworden! Wir bringen Sie gleich dorthin!".
In 20 Minuten werde ich zufällig Josef kennenlernen, der seinerseits zufällig herausfinden wird, dass er jahrelang mit meinem Vater eng zusammengearbeitet hat. "Die Welt ist so klein!", wird er sagen, und eine Träne wegdrücken, als ich ihm sage, dass er vor 4 Jahren gestorben ist. Wir haben uns lange unterhalten, vor und während des nächtlichen großen Kirmes-Feuerwerks, das wir so gut von unserem Fenster beobachten konnten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Neon!
Gute Besserung!
@Herr Mahakala - Beinahe Lena Gercke! Naja fast, eben schwarzhaarig, 150cm, ca. 55 und Philippinin. Aber supernett und fürsorglich.
Außer Herrn Mahakalas Konto.