Von falschen Fahnen und wichtigen Greencards
Heute Nachmittag besuchte ich meinen Vater in seinem Schrebergarten. Als kleiner Junge war er für mich der stärkste Vater von allen. Sein Leben lang arbeitete er hart und schwer, und wenn es überhaupt jemanden gibt, der alles gut und richtig gemacht hat in seinem Leben, dann ist er das.
Als vor ein paar Jahren die schweren Operationen begannen, bewunderte ich ihn noch mehr für seine Stärke, die unausweichlichen Leiden zu ertragen, seinen Willen, das Leben auf keinen Fall herzugeben, seinen Optimismus, das alles wieder gut würde. Monate über Monate lag er auf Intensivstationen - und ich versorgte ihn mit Internet-Dossiers über seine Krankheiten bis er mehr wußte als seine Ärzte. Irgendwann, endlich, schien die böse Serie abzureissen.
Wie oft kann man mit dem Tod Poker spielen und gewinnen? Wieviele Lethalprognosen kann man in einer Strecke überleben? Warum bekommt ein Mann, der schon weit mehr aushalten musste, als die meisten anderen Menschen in ihrem ganzen Leben ertragen müssen, nicht eine höchstgöttliche Gesundheitsgreencard? Irgendeine beschissene Wolke, die sich auftut und eine möglichst allmächtige Stimme, die sagt: "Du hast jetzt genug gelitten. Du bist raus aus meinem Schmerzspiel". Aber diese Stimme ertönt niemals. Und das Leben ist nicht gerecht.
Heute, im Garten, traf ich zum ersten Mal einen ängstlichen Mann. Er hat diese Woche erfahren, dass er Lympfknotenkrebs hat. Und er fragt sich, wieviele Spiele er noch gewinnen kann. Und dann sagt er: "Wir müssen nochmal reden, bevor ich wieder ins Krankenhaus gehe". Und sein Blick verliert sich. Das macht mir Angst.
Nach einer Weile sage ich in die Stille: "Lass uns zusammen die spanische Flagge hissen, einfach, um deine Gartennachbarn zu ärgern, bevor das Finalspiel beginnt". Und er lacht mich an. Spitzbübisch. Und für einen Moment bleibt die Zeit stehen. Genug Sekunden für ein Foto von einer spanischen Flagge, die mutig im Wind weht.
Neon!