Ich will dich
Erst heute Nacht lerne ich Hilde Domin kennen - und dass es erst jetzt ist, empfinde ich gerade als sehr peinlich. Eben lief Anna Ditges' Film "Ich will dich - Begegnungen mit Hilde Domin" im SWR und ich konnte nicht aufhören, dieser wunderbaren Lyrikerin mit dem wachen und unprätentiösen Geist zuzuhören, dabei zu sein, wie sie über Erwin, ihre große Liebe spricht, mitzufühlen, wie sie vergeblich sein Grab sucht und die ihm zugedachte Rose zärtlich am Wegesrand zurücklässt.
Die Bilder und diese Frau bewegen. Und ihre ausdrucksstarken Gedichte, die ich seit einer Stunde im Web suche und lese, noch mehr. Gleich morgen werde ich "Sämtliche Gedichte" von ihr erwerben. Und versuchen noch besser zu verstehen, wer diese kluge, gradlinige, schnörkellose Frau war.
Danke, Anna, dass du uns einander vorgestellt hast.
Neon!
Ziehende Landschaft (Hilde Domin, 1955)
Man muß weggehen können
und doch sein wie ein Baum:
als bliebe die Wurzel im Boden,
als zöge die Landschaft und wir ständen fest.
Man muß den Atem anhalten,
bis der Wind nachläßt
und die fremde Luft um uns zu kreisen beginnt,
bis das Spiel von Licht und Schatten,
von Grün und Blau,
die alten Muster zeigt
und wir zuhause sind,
wo es auch sei,
und niedersitzen können und uns anlehnen,
als sei es an das Grab
unserer Mutter.
Hinweis: Dieses Gedicht wird hier im Rahmen eines selbständigen Sprachwerks zitiert (§ 51 UrhG).