Nachtgedanken

Samstag, 9. Dezember 2017

Massaker

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Schneeflöckchen schmelzen wieder auf meiner Lippe. Ich stehe, und schaue, und warte in der Stille, doch kein Hund durchpflügt mit seiner warmen Nase den weichen kalten Teppich. So viele, die mir nahe waren, sind in den Jahren gestorben. Das Leben ist ein Massaker und Überleben eine harte Gewöhnung an Verzicht auf geliebte Menschen, Tiere und Optionen.

Mittwoch, 25. März 2015

4U9

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Montagabend. Es ist dunkel, schon nach 22:00 Uhr, als ich ins Auto springe und zum Düsseldorfer Flughafen eile. Heute, endlich, nach über 3 Monaten in England, kommt der kleine Neon nach Abschluß des zweiten Trimesters zurück und ich freue mich darauf, ihn wieder in die Arme zu schließen.

"4U9irgendwas" hatte er noch kurz die Flugnummer auf Whatsapp geschrieben, Germanwings, A320, die letzte aus Birmingham an diesem Tag. Erst morgen früh wird sie aus Düsseldorf weiterfliegen, um anderswo Menschen abzuholen. Aufgeregt stehe ich vor Ankunftsgate 1A und kann es kaum erwarten, bis die automatische Türe sich öffnet und er wieder hier ist.

Morgen, in nicht mal 12 Stunden, werden andere Eltern vergeblich auf diese Maschine warten. Keines ihrer Kinder wird durch das Gate treten und lachend auf sie zulaufen. Still, mitfühlend und rücksichtsvoll wird man sie in einen abgeschlossenen Bereich führen, wo man die vertraute Welt, wie sie sie kannten, durch ein paar Sätze unwiederbringlich zerstören wird.

All das weiß ich noch nicht, als ich den kleinen Neon endlich in den Armen halte. "Schön, dass du wieder da bist!", sage ich, unwissend und so nichtsahnend, dass die gleiche Maschine morgen 150 Menschen in den Tod reißen wird.

Das Leben hängt an einem seidenen Faden — es taumelt von einem Zufall in den nächsten, manchmal ein unfassbar grausamer: die falsche Zeit, der falsche Ort, die falsche Entscheidung, die unverschuldete und gleichzeitig unabweisbare Konsequenz fremden Handelns. Der kleine Neon lebt. Darüber bin ich glücklich und dankbar. Und ich weine mit den Eltern, die dieses Glück nicht hatten.

Freitag, 29. November 2013

Broken

Selten kommt es vor, dass mich ein Musikvideo so berührt. Dass es mich wahrhaftig tief anrührt, sich eindringlich in Erinnerung ruft und merkwürdige Gedankenstränge befördert.

Es ist "Open Mic" Nacht in einer der unzähligen Double "E" Bars in Rednecks Farmland des Bluegrass und Country Songs im südlichen Amerika entlang des Purple Heart Trails. Die Open Mic Bühne ist offen für jedermann — jeder hat die Chance, an diesem Abend sein Publikum zu finden: du nimmst dir die Bühne und du spielst. Ein Country-Duo performt die letzten Akkorde und hofft vergeblich auf eine Reaktion der einsamen Menschen in dieser dunklen, schummrigen Bar mit der seltsamen Mischung aus am Leben Gescheiterten, Gebrochenen und Ablenkung Suchenden.

Ich lese so viele Geschichten aus den Bildern und Gesichtern. Traurige Geschichten von Menschen, die bereits gescheitert sind und jenen, die noch zerbrechen werden, wenn sie nicht den Mut aufbringen, ihr Leben zu verändern: die Frau ohne Hoffnung alleine am Tisch, der grauhaarige, zerrissene Alte an der Bar, die gedankenverlorene blonde Frau im Bling-Bling-TShirt, das streitende Paar, der telefonierende Mann und seine ängstlich-eifersüchtige Freundin, die Streitenden vor der Bar, das sehnsüchtige Bar-Mädchen, deren Blick sich am Ende mit Tränen füllt, die betrunkene Frau, die so sehr nach Nähe sucht. Jedes Ansehen offenbart weitere schmerzende Details trauriger Hoffnungslosigkeit und die furchtbare Gewissheit einer Vorahnung auf ein fehlendes Happy-End für jeden von ihnen.

Es ist, als friere die Zeit ein, als sähe ich auf die Menschen und ihr Leben als eine stringente Kette ihrer minütlichen, stündlichen, täglichen Entscheidungen, in der das Leben, dein Leben, die ein oder andere Wendung nimmt. Jeden Tag stehen wir an Gabelungen und nehmen diesen oder eben den anderen Weg. Man wünschte sich die Fähigkeit von Nicolas Cage in "Next", einen Weg zu gehen, die Ereignisse der Zukunft zu sehen und so alle Handlungsoptionen logisch und sicher durchzuspielen. Doch den richtigen Weg zu nehmen, ist eine Mischung aus Ratio und glücklichem Zufall. Ich bin nicht sicher, was den größeren Anteil hat.

Ich kenne Menschen, die entscheiden immer falsch. Manches Mal habe ich versucht, zu helfen, Urteilsfähigkeiten zu verbessern, kausale Abhängigkeiten zu erklären, den möglichen Erfolg von Entscheidungsoptionen zu quantifizieren, aber am Ende des Tages war all das meist vergeblich. Dann gibt es Menschen, die machen alles richtig, machen sich Mühe, entscheiden stets überlegt und klug, aber der Zufall vernichtet respektlos ihren guten Plan.

Der Zufall hat es gut mit mir gemeint. Wenn man lange im World Trade Center gearbeitet hat und nur wenige Monate vor dem Anschlag nach Deutschland zurückkehrt, darf man das annehmen. Viele, die ich dort kannte, sind tot und Staub. Es ist, als sähe ich ihre Gesichter in der düsteren Bar des Jake Bugg Clips. Ich mag die Menschen in dem Video und ich wünschte, ich könnte ihre Zukunft ändern. Der Zufall ist ein Kind, das spielt.
Jake Bugg — Broken
Alternativer Videolink

Dienstag, 11. September 2012

Der blaue Tag

Jumper No. 34

Der blaue Tag,
an dem es Menschen
auf den Asphalt
regnete,
wird für immer
die Axt
im Friedwald
meiner Seele
sein.

With respect and rage.
Neon!

Montag, 9. November 2009

Bleierne Matratzengruft

Stille. Eine bleierne, bedrückende Schwere liegt wie eine meterdicke Schicht von Schmerz und Elendigkeit über dieser Wohnung. Ich sitze am Küchentisch meiner Eltern und starre auf die Präsentation auf meinem Laptop, die ich bearbeiten sollte - doch meine Gedanken sind weit weg.

Leise höre ich das ruhige, beständige Ticken der schweren Eichenstanduhr aus dem Wohnzimmer, während mein Blick über die furnierten Küchenschränke flimmert, die mich an die lang vergangene Zeit erinnern, in der ich hier wohnte. "Hast Du am Mittwoch ein paar Stunden Zeit?", fragt meine Mutter am Telefon und ihre Stimme hat etwas bedrohlich Flehendes, "...ich muss mal hier raus". "Ja, ich werde um halb zwei da sein", sage ich und achte darauf, das nichts passiert, was mein Versprechen auch nur im Entferntesten gefährden könnte.

Kurz sprechen wir noch, über das Morphiumpflaster und das grüne Kontrolllicht des Druckwechselbetts. Dann höre ich die Haustüre zufallen - und ich bin alleine, mit meinem Vater. Unbeweglich liegt er in dem Bett, das mittels einer Maschine auf dem Boden periodisch die Liegeflächen der Matratze mittels Pressluftzufuhr verändert. Es ist dieser Moment, in dem man von der leibhaftigen Existenz von Druckwechselmatratzen erfährt, allerspätestens dann, wenn das eisige Prinzip unverschuldeten Siechtums und kalter, böser, langer Sterblichkeit sich Platz greift in deinem unschuldigen, naiven und bislang lebensfrohen Hirn und deine Welt nicht mehr dieselbe ist. Von jetzt auf gleich. Und nimmermehr.

Wie tot liegt er da. Der Kopf wie die Totenmaske von Heinrich Heine. Den Mund geöffnet. Die Wangen tief eingefallen, die Augen geschlossen. "Paps, ich bin hier, möchtest du etwas trinken?", frage ich meinen Vater. "Jaaa", kommt es leise stöhnend und mit immer geschlossenen Augen zurück. Ich nehme den Trinkbecher mit dem Cola-Wassergemisch und berühre vorsichtig seine Unterlippe. Zweimal saugt er an der Lasche des Bechers, dann lösen sich seine Lippen. "Hast Du Schmerzen?", frage ich, während ich seine Hand halte. Kaum merklich bewegt sich sein Kopf und beendet die Verneinung, als wenn sie unendlich Kraft gekostet hätte. Dann sitze ich wieder am Küchentisch und sende leere Blicke auf die Powerpoint-Slides, bevor ich resignierend aber voller Sinn den Bildschirm zuklappe.

Heute, jetzt, treffe ich die Entscheidung, dass ich nicht so gehen werde. Wenn die Zeit kommt, einst, und hoffentlich weit entfernt, werde ich mein Leben beenden, so es irgendwie in meiner Macht steht, und nicht ein Sklave der bleiernen Matratzengruft werden. Niemals.

Eine Woche später. "Du musst sofort kommen", sagt meine Mutter, "dein Vater glaubt mir nicht, dass wir vor 5 Jahren umgezogen sind". Als ich ankomme, redet er mit geschlossenen Augen. Manchmal klar, manchmal wirr. "Weisst Du, wo Du bist?", frage ich ihn. "Siehst Du den grünen Frosch da?", fragt er mich mit geschlossenen Augen. Nur kurz rebelliert mein sachlich-logisches Gehirn, dann schließe auch ich die Augen. "Ja, Paps, den sehe ich", sage ich und lege meine Hand auf seine rechte Wange.

Neon!

Dienstag, 6. Oktober 2009

Alle Lust will Ewigkeit

O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
"Ich schlief, ich schlief -,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: -
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh -,
Lust - tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit -,
- will tiefe, tiefe Ewigkeit!"

Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra (1883-1891)

Neon!

Donnerstag, 21. Februar 2008

Simplifikation

Simplifikation

"Oberste Prinzipien, Clarice. Simplifikation! Lesen Sie bei Marc Aurel nach. Bei jedem einzelnen Ding die Frage, was ist es in sich selbst? Was ist seine Natur?". Und ich denke, warum also vorgestern so viele Worte machen um etwas, was ein einfaches Bild hätte präzise zusammenfassen können.

Neon!

Dienstag, 29. Januar 2008

But I have promises to keep...

Waldesdunkel

Plötzlich waren sie da. Entluden sich kurz wie ein Blitzlicht in meinem Kopf. Zündeten sofort das bereitwillige Meer der Synapsen, die sogleich neugierig auf die Suche gingen, die Worte und ihre Bedeutung wieder zu finden. Magische Worte aus einem Film, der mich einst in seinen Bann zog:

Des Waldes Dunkel zieht mich an
Doch muß zu meinem Wort ich steh'n
Und Meilen geh'n bevor ich schlafen kann
Und Meilen geh'n bevor ich schlafen kann.


Das vollständige, englische Original von Robert Frost klingt weniger bedrohlich, jedoch nicht weniger schön.

Robert Frost - Stopping by Woods on a Snowy Evening

Whose woods these are I think I know.
His house is in the village, though;
He will not see me stopping here
To watch his woods fill up with snow.
My little horse must think it queer
To stop without a farmhouse near
Between the woods and frozen lake
The darkest evening of the year.

He gives his harness bells a shake
To ask if there is some mistake.
The only other sound's the sweep
Of easy wind and downy flake.
The woods are lovely, dark and deep,
But I have promises to keep,
And miles to go before I sleep,
And miles to go before I sleep.


Und Meilen geh'n, bevor ich schlafen kann...
Neon!

Dienstag, 13. November 2007

Verpasst

Mist! Damn it! Jetzt hab' ich mein Blog-Online-Einjähriges um 20 Tage verpasst und muss nun für extensives Feiern wieder 345 Tage warten. Aber was viel schlimmer ist: Meine Blogfarben passen sich schleichend und unbewusst der Farbgebung des Arax'schen Gruselkabinetts an - und das macht mir Angst.

Sicher werde ich auch bald blaue Zehen haben und Buchpost von Nazis bekommen. Hoffentlich kommt bald Dezember - und ein neues Design.

Mittwoch, 12. September 2007

Für die, die weniger Glück hatten

ILoveNY

Einen Tag zu spät. Aber nicht vergessen.
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