Dienstag, 15. November 2016

Wie ich zum Gynäkologen wurde

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Wenn man Möbel über ebay verkauft, die aufgrund Ihrer Größe vom Käufer abgeholt werden müssen, kann man etwas über die Menschen lernen. Und manchmal auch über sich selbst.

Schon beim telefonischen Erstgespräch zur Abstimmung eines geeigneten Abholtermins des erworbenen Möbels war ich etwas irritiert über die mitteilsame Zutraulichkeit von Hajo, der frei von der Leber über seine Frau und innere Beziehungsangelegenheiten plauderte. So erfuhr ich ohne Not und Verlangen, dass sie in getrennten Schlafzimmern nächtigten, weil er nun mal sehr laut schnarche und seine Frau zum Eindösen endlose Hörbuchgeschichten benötige, was ihn wiederum furchtbar nerve. Und dass seine Frau Ü-Eier-Figuren sammele. Und dass die Jugend ja heutzutage kaum noch etwas Gebrauchtes kaufe. Und ob ich nicht noch etwas anderes zu veräußern hätte, wenigstens aber ein paar Ü-Eier-Figuren!? Und dass Sie im Frühjahr umziehen wollen. Und noch vieles vieles mehr.

Nach 40 Minuten geselligen Transfers von Detailinformationen zuckt mein Finger doch zunehmend nervös zur roten Auflegetaste. Ehe Hajo noch neue mitteilenswerte Details einfallen, bedanke ich mich artig für das "angenehme Gespräch" und bestätige noch einmal den vereinbarten Abholtermin.

Als beide am Abholtag schließlich mit über einer Stunde Verspätung hier eintreffen, beginnt die Übergabe nicht weniger jovial und ohne Eile. Hajo, etwa Mitte/Ende 40, sympathisch, aber etwas unbedarft, ungefähr wie jemand, der mit 14 beschlossen hat, nicht mehr erwachsener zu werden, stapft also durch Diele und Wohnraum, dabei seine Ü-Eier-verrückte Frau in einer plüschbunten Daunenjacke hinter sich herziehend, bleibt mal hier, mal dort stehen, und fragt, ob dieses oder jenes zufällig zu verkaufen sei. Lächelnd schüttele ich ca. 30-50 Mal den Kopf.

"Schön haben Sie's hier!", sagt Hajo, und sieht mich eindringlich an. "Sind Sie Arzt? Vielleicht Zahnarzt?", fragt Hajo spitzbübisch und legt seinen Kopf auf die Seite. "Nein", antworte ich Hajo, "ganz bestimmt nicht". Hajo überlegt neu, aber seine Frau kommt ihm zuvor: "Aber Gynäkologe vielleicht? Sie strahlen so eine Ruhe auf mich aus.".

Puh. Ich versuche in Millisekunden, die Kausalkette der Ü-Eier-Dame nachzuvollziehen, aber komme einfach nicht auf den Grund, warum innere Ruhe für einen Gynäkologen spricht und nicht genauso für einen Proktologen, Uhrmacher oder Gerichtsboten. Bevor die Synapsen durchbrennen, erlöse ich die beiden: "Nein, nein, ich helfe Unternehmen bei der Lösung ihrer IT-Probleme.".

Hm, das scheint beide nicht besonders zu befriedigen. Hajos Frau schaut enttäuscht. Womöglich ist sie auf der Suche nach einem neuen Gynäkologen und hätte gerne einen Probetermin vereinbart, wenn es denn schon nicht mit den Ü-Eier-Figuren klappt.

"Kommen Sie, ich helfe Ihnen beim Einladen!", nutze ich die Stille und versuche, wieder elegant auf das ursprüngliche Ziel einzuschwenken. Abends schaue ich prüfend in den Spiegel und versuche zu ergründen, was mich zu einem Gynäkologen macht. Ich komme nicht darauf, aber irgendwie gibt es mir eine innere Ruhe, zu wissen, dass ich den Job auch machen könnte.

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