Dienstag, 19. Februar 2008

Wenn Miss Marple 2x klingelt...

Sunday Morning Death Wish

Es ist Sonntagmorgen, 11:15 Uhr. Am Wochenende bin ich Langschläfer, oder anders erklärt: meine ToDo-List für Sonntag beginnt mit lange schlafen, lange räkeln, lange frühstücken, Sendung mit der Maus, Presseclub, Duschen. Das ist jetzt kein in Stein gemeißeltes Gesetz, wirklich nicht, mehr ein geliebtes Ritual, und doch gibt es sehr sehr sehr wenig Leute, die die unbedachte Störung dieses Sonntagmorgenrituals nicht mit ihrem Leben bezahlen würden. Diese Warnung missachtend steht bereits ein seltsam anmutendes Pärchen vor der Haustüre und ist soeben dabei, ihr Ebensolches leichtfertig und ahnungslos auf's Spiel zu setzen.

Es klingelt also zum zweiten Male, und zwar genauso, wie eine Stunde zuvor, als ich jenes widerstrebende Läuten meiner mir eng verbundenen und gewogenen Haustürklingel zum ersten Male vernehme und mich, nach ungläubigem Blick auf meine sich entschuldigende Armbanduhr, wieder entnervt ins Kissen zurückwerfe.

Jemand scheint es also sehr ernst zu meinen und meine ungeduschte Türpräsenz zu fordern. Wollen wir hoffen, dass er gute Argumente hat. Behende springe ich die Treppen hinunter, zupfe meine Boxershorts zurecht und öffne anmutig und noch nicht an Blutrausch denkend die schwere Vordertüre.

Vor mir steht ein ca. 35-Jähriger mit Bübchengesicht und Nickelbrille im zu eng gewordenen Kommunionsanzug, neben ihm Miss Marple, sichtlich verlegen bis entrüstet auf meine luftigen Boxershorts starrend, dann inbrünstig ihren Begleiter mit Blicken ermutigend, dass hier wohl ein sündiges Subjekt gefunden sei, welches geistlichen Beistands und intensiver christlicher Bekehrung bedürfe. Der Nerd hält mir darauf gleich den "Wachtturm" entgegen, als wolle er mir noch vor der Begrüßung den Teufel austreiben.

"Guten Morgen, wir waren vor einer Stunde schon mal hier", sagt das Milchgesicht, während ich überlege, wie ich am schnellsten an besonders scharfe Messer komme. "Ach Sie waren das", stoße ich nur mit Mühe und äußerster Beherrschung hervor.

"Glauben Sie an Jesus Christus?", fragt der Jehova-Azubi, während ich gerade innerlich sein Todesurteil fälle. Miss Marple nickt bestätigend und schaut mich an wie den leibhaftigen Satan.

"Ich glaube an Liebe, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Hoffnung, Mercedes-Benz und die Deutsche Bank", sage ich, während ich bemerke, dass Miss Marple beginnt, in ihrer Tasche nach einem Kreuz, Weihwasser oder zumindest einem angespitzten Holzpflock zu suchen.

Der Kommunionsanzug erkennt langsam die Sinnlosigkeit seines Tuns. "Dürfen wir Ihnen noch etwas zum Lesen da lassen?", bricht es mit einem Anflug von Verzweiflung aus ihm heraus. "Danke, ich bin Atheist, aber hätten Sie vielleicht Interesse an Bertrand Russell's Buch 'Warum ich kein Christ bin'?".

Miss Marple droht zu kollabieren. Der Kommunionsanzug fächert ihr mit dem "Wachtturm" Frischluft zu. "Na dann viel Erfolg noch", rufe ich fröhlich und schließe die Tür. Miss Marple röchelt mir zum Abschied zu. Perfektes Timing, denke ich. Noch 5 Minuten bis zur "Maus".

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